Die Ironie der Geschichte, am Beispiel des US-Haushaltsdramas lässt sie sich geradezu klassisch studieren. Die Idee einer Gesundheitsreform, durchgesetzt von Barack Obama ("Obamacare"), beruht nicht auf linken Konzepten, sondern auf einer Studie der Heri­tage Foundation, einer konservativen Stiftung, die in der Ära Reagan zu einer führenden Denkfabrik Washingtons avancierte. Bereits vor mehr als 20 Jahren schlug die Stiftung vor, jeden Amerikaner auf den Erwerb einer Krankenversicherung zu verpflichten, um die ausufernden Kosten in Arztpraxen und Kliniken auf breitere Schultern zu verteilen.

Heute steht ein Politiker an der Spitze des Thinktanks, der Obamas Affordable Care Act (ACA) schon deshalb ablehnt, weil er dem Präsidenten partout keinen Erfolg gönnt. Jim de Mint, Ex-Senator aus South Carolina, will das Projekt als "Obamas Waterloo" enden lassen. Kein Wunder angesichts ideologisch verhärteter Fronten, dass es ein Meilenstein der Reform ist, der eine akute Budgetkrise auslöst.

Ab 1. Oktober kann jeder Amerikaner an staatlich regulierten Online-Börsen eine Krankenversicherung erwerben, ohne dass ihn ein Anbieter wegen schwerer Krankheiten abweisen darf. Gerade für Selbstständige, die bisher horrende Prämien berappen mussten, dürfte es billiger werden, da die Versicherer eine Art Gruppentarif offerieren.

Das Weiße Haus spricht von vernünftigem Wirtschaften, rechte Republikaner protestieren gegen das Obligatorische: Zwang widerspreche dem Credo der Republik. Die Republikaner drohen nun damit, ACA die Finanzierung zu entziehen. Einem Budget der Regierung wollen sie erst zustimmen, wenn Obama die Gesundheitsreform vertagt.

Uncle Sam zahlt ein

Was viel zu kurz kommt bei dem Gezerre, sind die Strukturprobleme eines unterfinanzierten Fiskus. Treibender Faktor hinter den Problemen sind die Gesundheitskosten. Schon jetzt trägt Uncle Sam mehr als die Hälfte aller Klinikausgaben, verteilt auf Medicare und Medicaid, die steuerfinanzierten Programme für Senioren beziehungsweise sozial Schwache, und die Betreuung von Kriegsveteranen. Und an Medicare wird am markantesten deutlich, wie schwer sich die politische Klasse tut, sachlich über unbequeme Wahrheiten zu reden.

1965 eingeführt, garantiert es jedem über 65 eine Krankenversicherung, weitgehend unabhängig vom Einkommen. Da die Nutznießer immer länger leben und Praxis- und Klinikgebühren permanent steigen, läuft es irgendwann komplett aus dem Ruder. Ändert sich nichts, werden an Stelle der heutigen 3,7 Prozent im Jahr 2037 knapp sieben und 2087 über 13 Prozent der Wirtschaftsleistung in das Programm fließen. Nur: Medicare erfreut sich bei Älteren, Anhänger der Tea Party definitiv eingeschlossen, so hoher Beliebtheit, dass Abgeordnete krachende Wahlniederlagen riskieren, sobald sie daran zu rütteln wagen.

Generell stellt sich die Frage, ob und wie Amerika die seit Reagan - und auch unter Obama - kaum in Frage gestellte Theorie eines schlanken Staates mit einer alternden Bevölkerung vereinbaren kann. Zwei Varianten wären denkbar: Bei der ersten blieben sämtliche Sozialprogramme unangetastet, dafür müssten aber die Steuern um rund 30 Prozent steigen, auf ein Niveau, das ungefähr dem europäischer Wohlfahrtsstaaten entspricht. Bei der zweiten Variante liefe es darauf hinaus, die Steuern niedrig zu halten und bei Sozialposten, teils drastisch, den Rotstift anzusetzen. Während konservative Radikalsparer wie Paul Ryan, beim Wahlduell 2012 der Vize Mitt Romneys, ein solches Szenario favorisieren, schweben linken Demokraten eher skandinavische Verhältnisse vor. In der Mitte Obama, der eine Mischung aus höheren Steuern und niedrigeren Einnahmen anstrebt - bisher eher in Worten als in der politischen Tat. (Frank Hermann aus Washington, DER STANDARD, 1.10.2013)