Die SPÖ-Nationalratsabgeordnete Sonja Ablinger sorgte in der Vergangenheit öfters für parteiinterne Aufregung, weil sie bei Abstimmungen im Nationalrat nicht klubkonform abstimmte. Dass sie bei der aktuellen Nationalratswahl de facto auf der Liste zurückgereiht wurde, wodurch ihre Chancen auf einen Wiedereinzug massiv sanken, wurde von vielen in Zusammenhang mit ihrem Abstimmungsverhalten gebracht. Über das Wahlergebnis und ihre Zukunft sprach Maria Sterkl mit Sonja Ablinger.
derStandard.at: Was ging Ihnen nach der Wahl durch den Kopf?
Ablinger: Mich hat das Ergebnis nicht überrascht. Ich hatte schon während des Wahlkampfs, in den Gesprächen auf der Straße, sehr oft das gleiche Gefühl wie im Jahr 1999: dass wir verlieren werden und dass die FPÖ zulegen wird. Es gibt extrem viele Leute, die sich von der Politik abgewendet haben, wo ich im Gespräch gemerkt habe, dass man als Politikerin gar nicht mehr andocken kann. Und ich habe eine spürbare Ausländerfeindlichkeit bemerkt, in vielen Gesprächen ist es relativ rasch um dieses Thema gegangen.
derStandard.at: Wurden diese Stimmungen im Wahlkampf geschürt?
Ablinger: Diese Stimmung ist ja älter, ein Wahlergebnis ist immer auch ein Zeichen dafür, wie die Regierungspolitik in den letzten fünf Jahren wahrgenommen wurde. Wenn die Partei jetzt sagt: "Na, so schlimm ist es eh nicht, wir sind eh super durch die Krise gekommen, also machen wir einfach weiter so", dann blendet sie das alles aus. Wenn 1,2 Millionen Menschen wiederholt nicht wählen, dann kann uns das als politisch handelnden Menschen nicht egal sein.
derStandard.at: Lässt sich diese Entwicklung in Richtung Politik-Desinteresse wieder umkehren?
Ablinger: Wir brauchen Wahlkämpfe, die wieder politischer sind, wo politisch diskutiert wird. Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit seit 1930, die Langzeitarbeitslosigkeit ist extrem hoch. Die neoliberale Politik, die Löhne niedrig hält, ist fundamental gescheitert in ganz Europa - und das wird überhaupt nicht thematisiert im Wahlkampf, weder in Deutschland noch bei uns.
Ich habe das im Wahlkampf erlebt, dass es einfach viele Leute gibt, die nicht wissen, wie sie mit ihrem Geld durchkommen, und das Gefühl haben, das wird nicht angesprochen. Die lassen sich dann natürlich leicht von jemandem beeindrucken, der ihnen sagt: "Ich weiß, wer an deinen Sorgen schuld ist, das sind die und die." Und wenn ein Frank Stronach sechs Prozent erreicht, dann sagt das weniger über ihn aus als über die regierenden Parteien. Denn wenn SPÖ und ÖVP sagen: "Wir sind eh super durch die Krise gekommen, also machen wir einfach so weiter", dann ist das offensichtlich nicht das Gefühl sehr vieler Menschen.
derStandard.at: Erleben wir einen Rechtsruck?
Ablinger: Die Zugewinne der rechtspopulistischen Parteien - also FPÖ, Stronach und BZÖ - finde ich bedenklich. Auch die Situation in der Steiermark, wo die Freiheitlichen an erster Stelle sind, finde ich bedrückend.
derStandard.at: Ist die Steiermark ein Ereignis für sich, das wenig mit der Bundespolitik zu tun hat?
Ablinger: Das glaube ich nicht. Dieser Aufruf, nicht Rot und Schwarz zu wählen, ist offensichtlich bei vielen angekommen. Das hat seine Wurzel auch in der Regierungspolitik. Die große Koaliton hat 2006 noch fast 70 Prozent gehabt, jetzt sind sie bei 51 Prozent.
derStandard.at: Die große Koalition verliert an Vertrauen, trotzdem hat die SPÖ erklärt, sie fortsetzen zu wollen. Ist das gescheit?
Ablinger: Mich hat überrascht, dass so schnell Stellung genommen wurde zum Ergebnis, dass man sich keine Zeit und keinen Raum genommen hat, um sich zu fragen, wie wir das Wahlergebnis eigentlich interpretieren. Und die ÖVP sagt nur: "Schau ma mal." Mich erinnert das ein bisschen an 2006.
derStandard.at: Die rot-schwarzen Koalitionsverhandlungen verliefen damals äußerst zäh, am Ende gab die SPÖ wichtige Ministerien an die ÖVP ab.
Ablinger: Die damaligen Verhandlungen haben einige irritiert - Stichwort Ressortverteilung, Studiengebühren. Das Problem war damals, dass die Dinge in den Ressorts verhandelt wurden, und die Punkte, auf die man sich nicht einigen konnte, sind für die Chefrunde am Schluss aufgehoben worden. Die Folge war, dass nach einigen Wochen der Verhandlungen ein extremer Druck da war, endlich abzuschließen - und unter Druck schließt man immer schlecht ab.
derStandard.at: Was wäre denn die Alternative zu einer großen Koalition?
Ablinger: Bevor man sagt: "Wir machen weiter wie bisher", sollte man sich erst einmal die Zeit nehmen, das zu analysieren. Denn wenn alles so wunderbar wäre, hätte das Ergebnis anders ausgesehen. Wir sollten uns fragen, was wir daraus lernen können, anstatt immer nur zu sagen: "Wir müssen uns besser erklären." Auch viele Journalisten haben gesagt, die Reformen in der Steiermark hätten "nur besser erklärt" werden müssen. Wenn man so etwas sagt, gibt man den Leuten doch eindeutig das Gefühl, dass Wahlen nichts ändern.
derStandard.at: Warum lässt der Parteivorstand solche Diskussionen nicht zu? Hat er Angst vor dem, was dabei herauskommen könnte?
Ablinger: Es gibt einen Hang, Entscheidungen zu schnell in Gremien zu treffen, damit erst gar keine Alternativen aufkommen. In der Partei wird generell oft zuerst entschieden, und im Nachhinein wird es akzeptiert. Und wenn nicht, dann wird der Ruf nach Geschlossenheit laut. Aber Geschlossenheit zu fordern, ohne davor Diskussionen zuzulassen, führt dazu, dass der Zusammenhalt in der Partei zerbröselt.
derStandard.at: Sollte bei diesen Diskussionen auch eine Oppositionsrolle der SPÖ ein Thema sein?
Ablinger: Möglicherweise ja. Die Opposition ist in der SPÖ aber ein absolutes Tabu. Wenn ich aber sage, dass Opposition immer das Schlechteste ist, lasse ich mich in eine Alternativlosigkeit hineinpressen - und lande irgendwann in einem Pragmatismus ohne Haltung. Dann wird Politik nicht mehr unterscheidbar, und dann gibt es solche Wahlergebnisse. Die Sozialdemokratie hat die besten Voraussetzungen, diese Krise zu bewältigen.
Wir müssen diesen Sparzwang in ganz Europa beenden. Darüber müssen wir streiten, da müssen wir ringen. Aber sich hinzustellen und zu sagen: "Was in Europa passiert, ist alternativlos", ist zu wenig. Es gibt tatsächlich immer Alternativen, es muss sie geben. Denn wenn es die nicht gibt, braucht es auch keine Politik mehr. Dann kommt man bei den Technokraten-Kabinetten an, und wir verabschieden uns von einer lebendigen Demokratie. Dann ist es wurscht, ob wir 183 Abgeordnete haben oder nur 150 oder 90.
derStandard.at: Werden Sie wieder im Nationalrat sitzen?
Ablinger: Zurzeit sieht es nicht danach aus. Für mich kommt zum Tragen, dass ich auf der Landesliste de facto zurückgereiht worden bin.
derStandard.at: Hat Ihre Zurückreihung damit zu tun, dass Sie im Parlament als Einzige gegen die Klubdisziplin gestimmt haben - etwa bei der Fiskalpakt-Frage?
Ablinger: Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen: Nach der Fiskalpakt-Entscheidung ist extrem oft betont worden, wie wichtig doch die Parteidisziplin ist. Immer wieder war davon die Rede, dass man zwar innen diskutieren kann, aber nach außen geschlossen auftreten muss. Diese Betonung der Parteidisizplin war schon auffällig. Ich glaube, dass die Herausforderungen, vor denen die Sozialdemokratie in ganz Europa steht, nicht durch Klubzwang und Parteidisziplin zu lösen sind.
derStandard.at: Spricht man mit SPÖ-Funktionären, heißt es meist: Gestritten wird zu Hause, nach außen ist man sich einig. Wenn ich Ihnen zuhöre, klingt das aber eher nach: Nach außen ist man einig, und zu Hause wird auch nicht viel geredet.
Ablinger: Es wird oft wenig engagiert diskutiert, weil viele das Gefühl haben, dass eh schon alles entschieden ist. Stichwort Fiskalpakt: Es hat in der Partei durchaus eine Kontra-Stimmung gegeben, aber man hat nicht darüber gesprochen. Klar, es hat Diskussionsveranstaltungen gegeben - aber die hatten nur den Zweck, dass eine Entscheidung, die vorne schon gefallen ist, hinten noch ihren diskussionstherapeutischen Segen bekommt. Das tut uns als Partei aber nicht gut. Viele Menschen wollen sich ja reinschmeißen, sie wollen Positionen gemeinsam erarbeiten. Wenn sie aber ständig signalisiert bekommen, dass bei uns Friedhofsfrieden herrscht, wird man damit keine neuen Leute anziehen.
derStandard.at: Man rechtfertigt sich damit, dass in einer Partei eben nicht jeder tun kann, was er will.
Ablinger: Ja, aber darum geht es doch nicht. Es geht doch um inhaltliche Fragen. Ich habe ja nicht zum Spaß gegen den Fiskalpakt gestimmt oder weil mir so fad ist, sondern weil man sich aus einer Krise nicht heraussparen kann. Das zeigen uns auch die aktuellen Arbeitslosenzahlen.
derStandard.at: Wie groß ist Ihr Rückhalt in der Landespartei?
Ablinger: Ich bekomme große Unterstützung von den Parteifrauen, von vielen Parteimitgliedern. Aber was soll ich sagen, die Listenerstellung in Oberösterreich war schon ein Zeichen.
derStandard.at: Hat sich Ihr Landesparteichef Josef Ackerl von der Bundespartei einschüchtern lassen?
Ablinger: Ich weiß es nicht. Ich habe im Nachhinein von mehreren signalisiert bekommen: Wenn man das nicht mittragen kann, dann soll man halt gehen. Dazu muss ich sagen: Wir haben in Oberösterreich einen Parteivorstandsbeschluss, dass wir gegen den Fiskalpakt sind. So gesehen habe ich nur getan, was der Parteivorstand gesagt hat.
derStandard.at: Sie sind sozusagen konsequenter, als die Partei erlaubt?
Ablinger: Ja, ich bin eine echte Parteisoldatin! (lacht) Wir hatten auch bei der Fremdenrechtsnovelle einen klaren Parteivorstandsbeschluss, dass wir das ablehnen. Ich sage das nur dazu, weil es immer heißt, ich wäre eine einsame Stimme. Das stimmt so einfach nicht.
derStandard.at: Warum haben Sie eigentlich nicht um Vorzugsstimmen gekämpft?
Ablinger: Erstens bin ich keine Anhängerin dieser Personalisierung in der Politik. Es geht dann nur noch darum, wie oft ich in Medien vorkomme - aber mit welchen Inhalten, ist sekundär. Für mich ist entscheidend, wie sich eine Partei insgesamt ausrichtet, dass eine Partei eine gewisse Breite hat. Aber so ein Vorzugsstimmenwahlkampf führt die Leute in der Partei permanent in Konkurrenz zueinander.
derStandard.at: Es wirkt, als hätten viele Männer in den Parteien weniger Skrupel, diese parteiinterne Konkurrenz anzufeuern.
Ablinger: Männer haben überhaupt einen Wettbewerbsvorteil, wenn man sich die Listen so anschaut. Ich bin ja gespannt, wie sich das Parlament diesmal zusammensetzen wird. Ich glaube, dass es männlicher werden wird. Auch die SPÖ hat nach wie vor Schwierigkeiten, die Geschlechterausgewogenheit umzusetzen. Ich bin seit Anfang der 80er Jahre bei der Partei, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich es schon gehört habe, dieses "Nächstes Jahr dann, okay?". Als Feministin in der SPÖ braucht man wirklich ein Sendungsbewusstsein.
derStandard.at: Wo werden Sie sich politisch engagieren, wenn Sie nicht mehr Parlamentarierin sind?
Ablinger: Man gibt die politische Überzeugung nicht an der Parlamentstür ab, weder beim Reingehen noch beim Rausgehen. Ich bin weiterhin SPÖ-Frauenvorsitzende in Oberösterreich und Vorsitzende des Gewaltschutzzentrums. Was mir leidtut, ist, dass ich kulturpolitisch nichts mehr umsetzen kann.
derStandard.at: Haben Sie nie überlegt, zu den Grünen zu gehen? Da gäbe es doch inhaltliche Überschneidungspunkte.
Ablinger: (lacht) Nein, ich bin überzeugte Sozialdemokratin, auch wenn das manchmal schwierig ist. Ich habe schon einmal überlegt, die Neigungsgruppe "Sozialdemokraten in der Sozialdemokratie" zu gründen. Ich bin sozialdemokratisch, mit oder ohne Mandat. (Maria Sterkl, derStandard.at, 1.10.2013)