Das neue Schuljahr kommt allmählich in Fahrt. Und das gilt nicht nur für Lehrer und Schüler, sondern auch für Eltern. In unserem Schulsystem ist nämlich ein beträchtlicher Teil der schulischen Arbeit ihnen zugedacht: mit den Kindern lernen und Hausaufgaben machen, Nachhilfestunden zahlen, immer wieder in der Schule erscheinen und für Schulsachen, Bastelsachen, Sportsachen eine Menge Geld ausgeben. Wen wundert es da, dass Kinder, deren Eltern das alles nicht können oder wollen, wenig Chancen auf Erfolg haben? Die EU hat denn auch in ihrem jüngsten Bericht Österreich auf einen beschämend hinteren Platz verwiesen, wenn es um den Schulerfolg von Kindern aus bildungsfernen Schichten geht.
Pauli ist ein helles Köpfchen, aber er hat eine Leseschwäche. Die Deutschlehrerin verlangt, dass Pauli professionelle Hilfe bekommt. Kostenpunkt: 38 Euro die Stunde. Kann ich das mit meinem Kind nicht selber machen, fragt die Mutter. Wo kann ich die Unterlagen bekommen? Nein, nein, das geht nicht. Ich brauche eine Bestätigung von der Lernpädagogin. Moritz bringt eine Liste mit den Sachen nach Hause, die die Eltern besorgen müssen. Hefte, Hefte, Hefte, große, kleine, mit und ohne Korrekturrand. Mappen. Malfarben. Mehrere Sorten Buntstifte. Ein Zirkelset. Ton für keramische Arbeiten. Die Eltern seufzen. Und einen Roller. Einen Roller? Ja, den brauchen die Kinder. Für Exkursionen.
In Tamaras Klasse gibt es einmal in der Woche einen Buchstabentag. Ein nettes Lernspiel wird da gespielt, aber dabei müssen mehrere Erwachsene, sprich Eltern, mitmachen. Mindestens einmal im Semester sollten Papa oder Mama da schon antanzen. Da heißt es eben einen Urlaubstag zu nehmen. Und natürlich muss vor jeder Schularbeit zu Hause tüchtig gelernt werden. Patricks Mutter hat schon ab der zweiten Klasse Gymnasium das Handtuch geworfen. Sie versteht die Mathematikaufgaben ihres Sohnes nicht – beim besten Willen. Also Nachhilfestunden. Im Lauf eines Schuljahres kommen da alles in allem gut ein paar Hundert Euro zusammen.
Wie soll da der türkische Bauarbeiter mithalten, der gleichwohl möchte, dass seine Kinder eine ordentliche Schulbildung bekommen? Die serbische Putzfrau? Die österreichische Friseurin? 1500 Euro im Monat Mindestlohn für einen Vollzeitjob, haben wir vor kurzem gehört, ist zu viel, das kann sich die Wirtschaft nicht leisten. Aber ohne tatkräftige und auch finanzielle Unterstützung der Eltern ist ein Kind, auch wenn es begabt ist, im Gymnasium so gut wie chancenlos. Und auch in den Neuen Mittelschulen und Volksschulen sind Nachhilfestunden inzwischen keine Ausnahme mehr.
Unsere höheren Schulen scheinen immer noch davon auszugehen, dass alle ihre Schüler aus Bildungsbürgerhaushalten kommen, mit einem Papa, der das Geld nach Hause bringt, und einer Mama, die höchstens halbtags beschäftigt ist und sich um die Kinder kümmert. Und für den Junior und seine Schwester natürlich je ein Zimmer mit einem Arbeitstisch, in dem alle Schulsachen Platz haben.
Alle reden von der Bildungsreform. Aber manchmal hat man den Eindruck, die Verantwortlichen seien noch nicht ganz in der Wirklichkeit angekommen. Ob der neuen Regierung da etwas einfällt? (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 3.10.2013)