"Den Rechtsruck" bei der Nationalratswahl findet das neue ÖH-Vorsitzteam "erschütternd". Von links: Florian Kraushofer (FLÖ), Bernhard Lahner (FEST), Julia Freidl (VSStÖ) und Viktoria Spielmann (GRAS).

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UniStandard: Ihr stellt den Vorsitz in der Bundesvertretung der HochschülerInnenschaft für die nächsten zwei Jahre. Bislang hat die Regierung konsequent das umgesetzt, wogegen sich eure Vorgänger engagiert haben: den freien Hochschulzugang, keine Platzbegrenzungen und Studiengebühren - muss die ÖH reformiert werden, um sich durchsetzen zu können?

Viktoria Spielmann: Es hat weniger mit den Strukturen der ÖH zu tun, sondern es ist eine reine Ideologiefrage, dass das Wissenschaftsministerium nicht daran interessiert ist, die Studierenden partizipieren zu lassen.

UniStandard: Was sind eure Vorhaben, und was davon könnt ihr ohne Mitspielen des Ministeriums oder der Rektoren umsetzen?

Bernhard Lahner: Ein wesentliches Ziel ist die Verbesserung der Lehre an den Hochschulen - das können wir nur bedingt allein. Wir werden einen Didaktik-Leitfaden entwickeln. Außerdem fordern wir eine echte Orientierungsphase. Und die Forderung nach einem einheitlichen Hochschulsektor wird nach den Wahlen hoffentlich Gegenstand der Koalitionsverhandlungen der neuen Bundesregierung sein. Auch fordern wir, ein eigenes Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, um Bildung in Österreich ganzheitlich zu betrachten und gestalten.

UniStandard: Welche weiteren Anliegen habt ihr an die neue Regierung?

Spielmann: Meine Forderung sind barrierefreie Hochschulen und ein inklusiver Hochschulraum, das betrifft vor allem Studierende mit Beeinträchtigung. Dazu gehört, dass wir für den offenen Hochschulzugang sind. Derzeit werden viele soziale und ökonomische Barrieren aufgebaut.

Julia Freidl: Ich fordere eine Reformierung der Beihilfen. Es gibt eine klare soziale Schieflage, und wir hoffen, dass das ganz oben bei den Koalitionsverhandlungen steht.

Florian Kraushofer: Ich fordere die Demokratisierung der Hochschule. Demokratie soll nicht nur im großen Maßstab gedacht werden. Dazu ist leider zu sagen, dass die Universitäten heute kein demokratischer Ort mehr sind, wie sie es einmal waren. Das wollen wir ändern. Es geht auch darum, dass Studierende stärker in den Entscheidungsgremien der Uni vertreten sind, und, dass der Senat mehr Entscheidungsmacht gegenüber Rektorat und Uni-Rat bekommt.

UniStandard: Das klingt nach einer Novellierung des Uni-Gesetzes?

Kraushofer: Ja, langfristig auf jeden Fall! Kurzfristig ist unser Ziel, die Diskussion einmal loszutreten. Es wird viel über Demokratisierung geredet, da wären die Hochschulen ein guter Ansatzpunkt.

UniStandard: Warum sollen gerade die Hochschulen eine Vorreiterrolle einnehmen bei der Demokratisierung?

Kraushofer: Universitäten sind ein Ort, an dem Menschen bereit sind, außerhalb von gegebenen Strukturen zu denken. Daher eignen sie sich sehr gut, um Neues in einer Gesellschaft auszuprobieren. Das hat man auch historisch immer wieder gesehen.

UniStandard: Falls Karlheinz Töchterle wieder Wissenschaftsminister wird, hätte er in seiner zweiten Amtszeit vor, die Studiendauer zu beschränken - was haltet ihr davon?

Freidl: Was ist das für ein Verständnis von Hochschulbildung, wenn man eine bestimmte Anzahl an Semestern Zeit hat - und dann: Pech gehabt? Hochschulbildung ist eine tiefe Auseinandersetzung mit Thematiken, das sollte nicht auf Zeit ablaufen.

Kraushofer: Es stellt sich die Frage, warum das überhaupt gut sein soll. Töchterle spricht immer davon, Karteileichen loszuwerden, aber mein Gott, dann haben wir eben ein paar Karteileichen, die kosten nichts. Die Kosten entstehen, wenn die Leute studieren. Wenn Leute aber tatsächlich studieren wollen, dann soll man sie lassen. Menschen, die langsam studieren, weil sie berufstätig sind oder Betreuungspflichten haben, kosten nicht mehr als jemand, der das in Mindestzeit durchdrückt. Ich frage mich, warum man diese Menschen loswerden will - nur für eine schönere Statistik?

UniStandard: Unter den OECD-Ländern rangiert Österreich auf Platz eins bei der durchschnittlichen Studiendauer (siehe Grafik U4) - ist das etwas, worauf man stolz sein sollte?

Kraushofer: Ich denke, man muss das nicht werten. Die Ursachen dafür sind auch, dass es Studierenden nicht ermöglicht wird, rascher zu studieren, weil sie nebenbei arbeiten. Wenn ein Staat zunächst kein entsprechendes Beihilfensystem schafft und dann versucht, die Leute aus dem System zu drängen, damit die Statistik schöner aussieht, ist das keine erstrebenswerte Lösung.

UniStandard: Die ÖH tritt immer sehr energisch gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse von Studierenden auf, aber wann wird die ÖH selbst damit beginnen, ihre Funktionäre fair zu bezahlen. Für euren Job als Spitzenpolitiker bekommt ihr 550 Euro ...

Spielmann: Wir sehen das auch als Problem, nur sind uns da leider gesetzliche Handschellen angelegt, da das HochschülerInnenschaftsgesetz klar sagt, das ist eine ehrenamtliche Tätigkeit.

UniStandard: Töchterle hatte sich aber bereits gesprächsbereit gezeigt, das zu ändern - wenn die ÖH es will.

Freidl: Wir werden in den nächsten Jahren über diese Grundsatzfrage diskutieren: Ist man für Ehrenamt, oder sagt man, die ÖH ist ein Beruf, verlangt professionelle Arbeit und ist mindestens ein 40-Stunden-Job?

Kraushofer: Es ist ein Problem, dass man es sich leisten können muss, diese Arbeit zu tun, und Selbstausbeutung abverlangt wird.

UniStandard: Im besetzten Audimax 2009 wurde heftig darüber diskutiert, was Universität ist. Jacques Derridas unbedingte Universität verpflichtet sich dem "Prinzip der Autonomie, des Widerstands, des Ungehorsams und der Dissidenz" gegenüber einer Gesellschaft. Ihr vertretet Studierende von Unis, wie auch von FHs, die es als ihre Aufgabe sehen, die Wünsche der Wirtschaft zu erfüllen - wo positioniert ihr euch zwischen Widerstand und Mitläufertum?

Lahner: Man sollte sie nicht gegeneinander ausspielen, sondern etwas Gemeinsames ausarbeiten - das passiert leider gar nicht.

Kraushofer: Dass FHs Menschen konkret auf Arbeitssituationen vorbereiten, muss nicht bedeuten, dass diese sich in ihrem Beruf nicht kritisch engagieren können.

Spielmann: An der Hochschule sollte man eine kritische Auseinandersetzung mit Allgemeinthemen lernen. Mir fällt da immer Bertolt Brecht ein: "Wenn Unrecht zu Recht wird, dann wird Widerstand zur Pflicht." Genauso sehe ich es für die Universitäten. Deswegen sind wir ja in der Studierendenvertretung. Wenn irgendwo Unrecht passiert, muss man sich dagegen wehren.

UniStandard: Was denkt ihr zum Ausgang der Nationalratswahlen?

Lahner: Der Rechtsruck ist erschütternd. Wir werden uns für Bildungspolitik starkmachen. Bei einer Regierungsbeteiligung der FPÖ sehen wir uns auf der Straße. (Tanja Traxler, UNISTANDARD, 3.10.2013)