Nicht einmal am allgemeinen Nachwahlgejammer hat sich etwas geändert. Wieder einmal wird die Stärke der FPÖ als internationale Peinlichkeit beklagt und gleichzeitig als koalitionäre Verlockung gedankenlos angedacht, die Koalition wird ob ihrer Reformunfähigkeit - wenig originell - verdammt und ihr Schrumpfungsprozess als verdient empfunden, gleichwohl wird sie als einzig realistische, weil halbwegs seriöse Reformpartnerschaft widerwillig akzeptiert - das hatten wir doch schon einige Male. Warum sollte es für die österreichische Misere, die sich international übrigens ganz gut sehen lassen kann, plötzlich ein Ende der Geschichte geben?

Dazu müssten die Koalitionsparteien kräftig über ihren eigenen Schatten springen, was leichter gefordert als getan ist, wenn man kaum noch einen politischen Schatten wirft. Bedroht sind sie nicht von einer rechten Gefahr, sondern von einem Verkalkungsprozess am jeweils eigenen Körper, den sie seit Jahrzehnten zu ignorieren versuchen, unbeschadet schmerzlicher Wahlergebnisse. Die ÖVP ist erstmals unter eine Million Stimmen gesunken. Die SPÖ hat diesmal, stimmt die Wählerstromanalyse, 174.000 Wählerinnen und Wähler ins Lager der Nichtwähler vertrieben. Bürgerinnen und Bürger, die nicht andere Parteien attraktiver fanden, sondern einfach das Interesse an ihr verloren haben. Man kann sich leicht ausrechnen, wie viele Prozent ihres Wählerstocks vom letzten Mal das sind, und annähernd, wie viele Mandate drinstecken. Zur FPÖ wechselten von ihr 37.000 Wählerinnen und Wähler, was die blaue Gefahr doch ein wenig relativiert.

Sie herbeizureden heißt, Strache auf den Leim zu gehen, der sich gern als solche darstellt. Sein Erfolg ist nationale Schande genug, aber wo wäre ein Rechtsruck? Bis Sonntag hatten die beiden aus dem Schoß der Haider-FPÖ gekrochenen Parteien zusammen mehr als 28 Prozent, jetzt ist eine aus dem Nationalrat verschwunden, und Strache hält bei 21 Prozent. Das Team Stronach einfach diesem Lager zuzurechnen schlägt fehl, in seinem rechtsliberalen Programm fehlt, bei vielen bizarren Ideen, die braune Grundierung.

Wenn jetzt in der SPÖ - auch das nicht originell - einige aus Angst, von der ÖVP in Geiselhaft genommen zu werden, von den Gemeinsamkeiten mit den Freiheitlichen zu schwärmen beginnen, verrät das eben nur, wie groß die Angst und wie gering die Entschlossenheit ist, endlich mit dem Mangel an Glaubwürdigkeit in den eigenen Reihen aufzuräumen. Er ist es, der von Wahl zu Wahl die Wähler vertreibt, weniger die halbseidene Nächstenliebe, der die Arbeiter, aber ebenso die Jugend und die höher Gebildeten angeblich verfallen. Jetzt wieder einmal ein Wundermittel gegen die ÖVP bei der FPÖ zu suchen ist umso kläglicher, als die SPÖ in einer jahrzehntelangen Abwärtsbewegung auf etwa die Hälfte der Stärke geschrumpft ist, die sie in den Siebzigerjahren hatte. An der Selbstzufriedenheit des Apparats hat das nicht gerüttelt. Die Verwaltung dieses Schrumpfungsprozesses als der sozialdemokratischen Weisheit letzter Schluss ist Sonntag an einem historischen Tiefpunkt angelangt. Mit einer blauen Krücke wird es nicht aufwärtsgehen. (Günter Traxler, DER STANDARD, 4.10.2013)