Es wird Zeit zu erkennen, dass es für ein "Wehret den Anfängen" bereits zu spät ist. Es wird Zeit zu sehen, dass die Zustände des Jahres 1933 uns eingeholt haben in diesem Europa. Viele kennen mich als große Kritikerin von Ministerpräsident Viktor Orban, der gegen Roma, Juden, Homosexuelle und alle anderen Minderheiten in Ungarn hetzt. Doch inmitten der Kritik an Ungarn habe ich und anscheinend auch der Europarat einen Krisenherd übersehen, der sich jetzt umso lauter meldet: Tschechien.

Rechtsradikale Demos in ganz Tschechien

Vor einigen Wochen habe ich ein schockierendes Interview mit der tschechischen Filmregisseurin Zuzana Brejcha geführt. Sie war bei den ersten Demonstrationen von Rechtsradikalen in Tschechien (Budweis) anwesend. Insgesamt waren im August bei romafeindlichen Kundgebungen in acht Städten des Landes rund hundert Menschen festgenommen worden. Einen Satz von ihr konnte ich seither nicht mehr vergessen: "Die Nazis rufen 'Roma ab ins Gas', die Dorfbewohner schauen am Straßenrand mit ihren Kindern zu, jubeln und essen dabei Hot Dogs."

Zuzana Brejcha kennt die Probleme mit Roma im Land, dennoch war sie geschockt von der Situation vor Ort. Denn: Jene, die Roma schützen sollten, haben mittlerweile selbst Angst. Die Polizisten haben Angst vor den randalierenden Nazis. Die Politiker haben Angst vor dem Verlust von Stimmen, wenn sie den Roma helfen. Angst überall.

Doch es wurde noch schlimmer: Am Freitag vergangener Woche demonstrierten hunderte Neonazis in Ostrava gegen ein Wohnheim, in dem Roma leben. Als die Rechtsradikalen das Wohnheim stürmen wollten, kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei. 21 Demonstranten wurden festgenommen. Was war da passiert?

500 bis 700 Neonazis griffen angeblich die Sicherheitskräfte mit Steinen und Flaschen an, als die Erstürmung des Wohnheims mittels Tränengas verhindert werden sollte. Nach Angaben der Polizei wurden drei Beamte bei den Auseinandersetzungen verletzt.

Gut organisierte Rechtsradikale

Die rechtsradikalen Demonstranten sind laut Polizei gut organisiert und reisen in Bussen und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln an, die zeitweise sogar ihre Intervalle für die Reisewilligen intensivierten. In Tschechien leben etwa 250.000 bis 300.000 Roma. In Europa insgesamt spricht man von ungefähr 14 Millionen. Der Rechtsruck in Europa ist mehr als ein Trend, die Wirtschaftskrise noch immer nicht ausgestanden. Historisch gesehen sind in solchen Zeiten die Schwächsten in einer Gesellschaft oft die Sündenböcke des Augenblicks.

Xenophobie und Rassismus entstehen aus Angst, aus Unkenntnis der Fakten, und im Fall der Roma auch oft durch einen negativ geprägten Schwerpunkt in der Berichterstattung der Medien.

Diese Ausgangssituation kann nur durch Aufklärung und Sensibilisierung der Medien sowie der Mehrheitsgesellschaft verbessert werden. Das ist jedoch ein langwieriger Prozess, der keinesfalls schon morgen eine Veränderung herbeiführen wird. Es wird tatsächlich Zeit zu erkennen, dass es für ein "Wehret den Anfängen" bereits zu spät ist. Aber wenn wir nichts tun, stehen wir schon am Anfang vom Ende. (Gilda-Nancy Horvath, Leserkommentar, derStandard.at, 4.10.2013)