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Sarkozys Politik der "freiwilligen Rückreise" wird unter Hollande weitergeführt.

Foto: Reuters /Pascal Rossignol

Stolz thront die französische Nationalfigur Marianne über der Place de la République in Paris. Darunter wird aber die Kehrseite des Landes sichtbar: Zerlumpte Frauen campieren hier allabendlich und wiegen ihre Babys in den Schlaf, während der Verkehr braust. Es sind Romni aus Osteuropa, gelandet in den Hütten der Peripherie, von der Polizei verjagt und nun unwissentlich Schutz unter jener Statue suchend, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verspricht.

Doch Marianne bietet keinen Schutz: Im ersten Halbjahr wurden in Frankreich 10.200 Roma verjagt, rechnet die Menschenrechtsliga vor. Vergangenes Jahr wurden 12.800 Rumänen und Bulgaren, vorwiegend Roma, des Landes verwiesen. Auch heute noch werden sie mit 50 Euro ins Flugzeug gesteckt, tauchen aber bald wieder in Frankreich auf. Ein richtiger Kreislauf.

Manuel Valls, der zuständige sozialistische Innenminister, lässt ebenso wie sein Vorgänger in der Regierung des Konservativen Nicolas Sarkozy zahlreiche Lager schleifen und Roma ausweisen. Der "linke Sarkozy" , wie er häufig apostrophiert wird, pflegt auch eine ähnliche Rhetorik: "Nur eine Minderheit der Roma will sich wirklich integrieren" , behauptete er kürzlich; ihre Lebensart stehe "im Widerspruch zu jener der lokalen Bevölkerung" . Folglich seien die Roma "dazu berufen, in ihr Land zurückzukehren" . Laut einer Umfrage glauben das auch 93 Prozent der Franzosen.

"Das Spiel der Bestie"

Doch im eigenen politischen Lager wird Empörung laut. Solche Worte seien "skandalös"  und "inakzeptabel" , wettert die grüne Wohnbauministerin Cécile Duflot. Valls kontert kühl: "Je mehr man Engel spielen will und linke Werte zu verteidigen vorgibt, desto mehr spielt man das Spiel der Bestie – des Front National."

Duflot lässt das nicht gelten: "Wir wurden nicht gewählt, um die gleiche Politik wie unsere Vorgänger zu betreiben."  Die Rechte verfolgt derweil den Streit bei Rot-Grün mit Spott, aber auch mit dem unguten Gefühl, dass ihr ein Wahlthema abhandenkommt. Der Vize-Chef des Front National, Florian Philippot, findet, Valls könnte "fast"  schon Mitglied seiner rechtsextremen Partei werden.

Und François Hollande? Der sozialistische Staatspräsident beließ es bisher bei sehr generellen Bemerkungen zur Roma-Frage und weigerte sich, seinen Minister zu desavouieren. Anfang nächsten Jahres sind Kommunalwahlen, und im ganzen Land sorgen die 400 "bidonvilles"  (Wellblechsiedlungen) und wilden Roma-Siedlungen für erhitzte Gemüter.

Hollandes Berater verteidigen sich, man gehe "hart, aber humanitär"  zur Sache. Schließlich habe die Linksregierung die Polizei angewiesen, Roma-Lager nur unter ganz präzisen Bedingungen zu schleifen. Doch diese werden laut dem nationalen Ombudsmann Dominique Baudis schlicht und einfach nicht beachtet.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding wirft indes Paris vor, die Regierung schiele bloß auf die Wahlen: "Jedes Mal, wenn man nicht über wichtige Themen wie Budget oder Schulden sprechen will, verfällt man auf die Roma."

Und EU-Kommissionssprecher Olivier Bailly droht, Brüssel werde "alle zur Verfügung stehenden Mittel"  einsetzen, sollte Paris EU-Recht verletzen. Das sei der Fall, wenn die Roma-Abschiedungen "kollektiven"  Charakter annähmen und damit gegen die Personenfreizügigkeit verstößen. Zudem fragt sich Bailly, warum Frankreich die von der EU bereitgestellten Milliarden für Integrationsmaßnahmen zugunsten von Roma nicht ausnütze. Geld ist eben nicht alles: Es braucht auch einen politischen Willen.

Anderswo in der EU gibt man sich engagierter: Am Freitag lancierte EU-Sozialkommissar László Andor ein länderübergreifendes Programm zur Integration von Roma in Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Italien und der Slowakei.  (Stefan Brändle aus Paris  /DER STANDARD, 5.10.2013)