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Lampedusaner werfen Blumenkränze zum Gedenken an die Verunglückten ins Meer.

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Gedenkmesse und Fackelzug auf Lampedusa.

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Lampedusa - Dank der besseren Wetterlage ist am Sonntag die Suche nach den Vermissten bei der Flüchtlingstragödie vor der Mittelmeerinsel wieder aufgenommen worden. Tauchermannschaften sind am Werk, um die Leichen zu bergen, die sich in und rund um das Wrack des gesunkenen Flüchtlingsbootes befinden. Das Boot liegt in 40 Metern Tiefe. Wegen starkem Wind musste die Suchaktion zwei Tage lang eingestellt werden.

Die 155 Überlebenden der Flüchtlingstragödie vor der Insel Lampedusa am Donnerstag sollen in Rom untergebracht werden. Dies berichtete der römische Bürgermeister, Ignazio Marino, bei einer Gedenkwache zu Ehren der Toten des Unglücks vor dem Rathaus in Rom. "Die 155 Überlebenden werden in Rom aufgenommen. Das ist ein erstes Signal der Revolte gegen Gleichgültigkeit und Resignation", betonte der Bürgermeister. Die Menschen sollen in kommunalen Flüchtlingseinrichtungen untergebracht werden.

Derzeit befinden sich die meisten Überlebenden noch im Auffanglager von Lampedusa, das über 250 Plätze verfügt, momentan aber von 1.050 Menschen belegt ist. Nur vier Personen in besonders kritischem Gesundheitszustand wurden in ein Krankenhaus nach Palermo geflogen.

Geldstrafe nach Überlebenskampf

Ob sich unter den Überlebenden auch Schlepper befinden, die die Überfahrt organisiert haben, wird derzeit untersucht. Die ermittelnden Staatsanwälte der sizilianischen Stadt Agrigent befragen alle Insassen: "Wir suchen nach Beweisen, um festzustellen, wer für diese Tragödie verantwortlich ist", betonte der Staatsanwalt, Ignazio Fonzo. Ein erster Verdächtiger war unmittelbar nach dem Untergang des Schiffes festgenommen worden. Dem 35-jährigen Tunesier wird mehrfache Tötung vorgeworfen, er beteuert seine Unschuld.

Die Überlebenden werden aber nicht nur als Zeugen befragt, gegen sie soll auch wegen illegaler Einwanderung ermittelt werden. Sobald sie identifiziert seien, geschehe dies zwangsläufig, berichtete die italienische Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft. Dies lasse sich wegen der geltenden Gesetze nicht verhindern, bisher seien aber noch keine Ermittlungen aufgenommen worden.

Umstrittenes Einwanderungsgesetz

Dieser Automatismus entfachte in Italien einen Streit über das nationale Einwanderungsgesetz. Die Debatte über politische Konsequenzen erreichte am Samstag aber auch andere EU-Staaten. Die französische Regierung verlangte am Samstag ein baldiges Treffen der europäischen Verantwortlichen, die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgieva, mahnte offenere Grenzen an. Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich wies hingegen den Vorwurf einer europäischen Festung ab. "Wir alle sind erschüttert von den dramatischen Bildern aus Lampedusa. Der Vorwurf, dass sich Europa abschottet, ist jedoch falsch", sagte Friedrich der "Welt am Sonntag". Allein Deutschland habe in diesem Jahr "schon annähernd 80.000 Menschen Zuflucht gewährt".

"Glück hatten die, die zuerst ertrunken sind"

Der Taucher Rocco Canell berichtete von einer schrecklichen Szenerie am untergegangenen Wrack, das 550 Meter vor der Küste der Mittelmeer-Insel liegt. "Es ist furchtbar da unten, Dutzende Leichen, vielleicht Hunderte", sagte Canell der Nachrichtenagentur Ansa. "Sie sind übereinander aufgetürmt. Glück hatten noch die, die zuerst ertrunken sind."

Vorwürfe gegen offizielle Einsatzkräfte

Nach einem Zeugenbericht stehen allerdings auch die italienischen Einsatzkräfte in der Kritik. Die Küstenwache habe 45 Minuten gebraucht, bis sie den etwa 500 Meter vor der Küste gelegenen Unglücksort erreicht habe, sagte Marcello Nizza, der am frühen Donnerstagmorgen mit einem Fischerboot in der Nähe des gekenterten Schiffs unterwegs war. Zusammen mit seinen sieben Begleitern kam er den Opfern zur Hilfe.

Sie hätten um 6.30 Uhr damit begonnen, die Schiffbrüchigen auf ihr Boot zu ziehen und eine Viertelstunde später die Küstenwache alarmiert, erzählte Nizza. Die Küstenwache wies dies zurück. Der erste Notruf sei um 7.00 Uhr eingegangen, 20 Minuten später seien die Retter vor Ort gewesen.

Nizza beschuldigte die Küstenwache auch, die Rettung weiterer Überlebender behindert zu haben. Mit 47 Überlebenden habe sein Boot den Hafen von Lampedusa erreicht. Er sei dann aber daran gehindert worden, wieder aufs Meer zu fahren, weil hierfür keine offizielle Erlaubnis vorgelegen habe. "Ich hätte mehr Menschen retten können", sagte Nizza. Ein Sprecher der Küstenwache widersprach dieser Darstellung. Eine offizielle Erlaubnis sei nicht nötig gewesen. Es sei aber die Aufgabe der Küstenwache, die Rettungsaktion zu koordinieren und ein Chaos zu verhindern.

Nur vier überlebende Frauen

Bisher wurden 111 Tote gezählt, doch bis zu hundert Leichen könnten sich noch im Wrack befinden. Befürchtet wird, dass die Zahl der Toten sogar auf 300 steigen könnte. Ein beträchtlicher Teil der Todesopfer des Flüchtlingsunglücks sind Frauen. Unter den 111 geborgenen Leichen befanden sich 49 Frauen. Nur vier der insgesamt 155 Überlebenden sind weiblichen Geschlechts.

Am Freitagabend war es auf Lampedusa zu einer bewegenden Messe und einem Fackelzug mit einigen tausend Menschen zu Ehren der Toten gekommen. Fischer Lampedusas fuhren am Samstagvormittag mit ihren Boot zum Ort, wo das Wrack gesunken ist, und warfen Blumenkränze ins Meer. An Bord des Flüchtlingsbootes soll es am Donnerstag zu einem Benzin-Leck und dadurch zu einem großen Brand gekommen sein, als einige Migranten Decken in Flammen setzten, um die Aufmerksamkeit vorbeifahrender Schiffe auf sich zu lenken, berichteten Überlebende. (APA/red, derStandard.at, 5.10.2013)