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Oft bringen schwere Erkrankungen soziale Probleme mit sich. Die Selbsthilfegruppe Darmkrebs setzt auf Austausch, Informationsgewinn und - zumindest kurzfristige - Ablenkung.

5.600 Menschen erkranken jedes Jahr in Österreich an Darmkrebs, doch nur 120 Betroffene nehmen in Wien und Umgebung an den Treffen der Selbsthilfegruppe Darmkrebs teil." Unsere Angebote werden angenommen, aber immer noch viel zu wenig", sagt Helga Thurnher, die seit dem Tod ihres Mannes im Jahr 2006 die Gruppe leitet.

Es gebe immer noch viele Menschen, die sich scheuen, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen, beobachtet Thurnher: "Die grundlegendste Hürde ist fest in den Köpfen der Menschen verankert und lautet 'Krebs ist gleich sterben'." Viele würden den Besuch einer Selbsthilfegruppe auch als ein Zeichen von Schwäche betrachten. "Oder sie denken, dass wir ein Jammerverein sind. Beides ist nicht der Fall. Bei uns wird nicht nur über Krankheiten geredet", stellt die Obfrau klar.

Ablenkung zumindest für kurze Zeit

Neben den regelmäßigen Treffen für Darmkrebspatienten und deren Angehörige werden Kontakte zu Ärzten geknüpft, Tage der Darmgesundheit veranstaltet und Experten zu Vorträgen geladen. Drei Stunden pro Woche können sich Betroffene telefonisch von einem Onkologen, einem Psychoonkologen und einem Juristen beraten lassen. Oft geht es in diesen Gesprächen um vermeintliche "Kleinigkeiten" des täglichen Lebens, für die im Krankenhaus oder in der Ordination keine Zeit bleibt.

Maßgeblich ist für Thurnher, Abwechslung ins Leben der Patienten und ihrer Angehörigen zu bringen, damit sie, zumindest für kurze Zeit, abgelenkt und aus ihrer Isolation geholt werden. Veranstaltungen, wie zum Beispiel Theater- und Heurigenbesuche, bezeichnet die Obfrau als "sehr wertvoll, da durch die Erkrankung oft soziale Probleme entstehen."

Ein "Hangen und Bangen"

Ebenso gilt es den psychischen Druck zu lindern, dem die Patienten ausgesetzt sind. Als "vielleicht größten psychologischen Effekt" bezeichnet Herr P. (Namen von der Redaktion anonymisiert), der im Jahr 2006 wegen Darmkrebs operiert wurde, die Angst vor dem Wiederauftreten der Erkrankung. "Die Jahre nach der Operation sind immer ein Hangen und Bangen", sagt er. "An die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen gewöhnt man sich nicht, das ist das größte Problem daran."

Bereits Wochen vorher fiebert P. der Untersuchung entgegen, die jedes Mal aufs neue mit der Frage verbunden ist: Konnte der Krebs durch die Operation gestoppt werden, oder sind Metastasen aufgetreten? Obwohl in einer Situation wie dieser Hilfe nur eingeschränkt möglich ist, können Gespräche mit den Psychologen, die auf Onkologie spezialisiert sind, Erleichterung bringen.

Unkonventionelle Maßnahmen

"Wir haben aber auch schon einmal jemandem den Zins gezahlt, der knapp vor der Delogierung stand", berichtet Thurnher von unkonventionelleren Hilfestellungen. Der Betroffene litt neben seiner Darmkrebserkrankung an Lungenproblemen und psychische Problemen. Er verlor seinen Job und suchte um Frühpensionierung an. Beides wurde abgelehnt. Die Familie brach auseinander, sein bester Freund erlitt einen tödlichen Unfall. Der Erkrankte hatte nicht mehr die Kraft, sich um all das zu kümmern.

Einem anderen Patienten finanzierte die Selbsthilfegruppe einen Teil des Kuraufenthalts. Aus Sicht der Krankenkasse war die Erkrankung zu weit fortgeschritten, die Therapie aussichtslos und eine Kur damit sinnlos. "Krank und kein Geld ist noch ärger als krank mit ein bisschen Geld", sagt Thurnher und definiert als Hauptteil ihrer Aufgabe, Geld zu lukrieren.

Menschen zu finden, die sich für die Gruppe engagieren, sei schwierig: "Bei Darmkrebs gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sind schwer krank und haben keine Kapazität, sich für eine Gruppe einzusetzen", weiß Thurnher. "Oder Sie werden gesund, dann wollen Sie von der Krankheit nichts mehr hören." Sie selbst sei nicht mehr jung und deshalb auf der Suche nach einem Nachfolger. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 23.10.2013)