Wien - Er schichtete bis zu 150 Stunden in seine Bilder, in die Porträts seiner Freunde, seiner zig Geliebten, seiner etwa 14 Kinder. Dennoch war Maler Lucian Freud (1922-2011) ein Mann der impulsiven Entscheidungen - für oder gegen ein Modell oder Sujet, für oder gegen Ausstellungen. "Faites vos Jeux!", trifft dies, wohl passend zur Spielernatur des Künstlers, gut. Auch die Entscheidung des 2011 verstorbenen Sigmund-Freud-Enkels, doch in Österreich - im Kunsthistorischen Museum - auszustellen, sei eine spontane gewesen, erzählt Jasper Sharp, Kurator und auch ehemaliger Nachbar des Künstlers. Als Heranwachsender unterhielt er etwa eine kleine Brieffreundschaft, von Postkasten zu Postkasten.

Man kannte sich also schon eine Weile, als Sharp Freud das überzeugende Angebot unterbreitete: eine sehr kleine Ausstellung mit 30 bis 40 Bilder in einem eigenen Raum. "Freud akzeptierte sofort. Überzeugen und Überreden war nicht notwendig", erzählt Sharp. Dass seine Gründe, jedes Angebot hiesiger Museen abzulehnen, politischer Natur gewesen sind, hat lange Jahre sicher gestimmt. Freud begründete es aber schlichtweg mit "uninteressanten" Offerten. Insbesondere die "Auseinandersetzungen", also das In-Kontext-Setzen, behagte ihm nicht.

Nicht aus Gründen übersteigerten Egos, sondern aus Respekt vor seinen Helden wie Velázquez und Rembrandt. Es schien ihm unangemessen. 1994 hatte er seine Werke in London Seite an Seite mit Frans Hals und Rubens gehängt und diese Didaktik zutiefst bereut, obwohl er die Alten Meister liebte; er war mit ihnen aufgewachsen, denn Großvater Sigmund brachte bei jedem Berlin-Besuch einen Schwarz-Weiß-Druck mit. Auch sein Lieblingsbild, Tizians Diana und Aktaion aus der Londoner National Gallery, begleitete ihn seitdem. Auf vergleichende Blicke zwischen Freud und Tizian muss man im KHM dennoch nicht verzichten: Im Tizian-Saal hat man sowohl dessen dahingestreckte pagane Nymphe mit Schäfer (1570) im Blick, kann aber auch zur üppigen Nackten Benefits Supervisor Sleeping hinüberspähen, die Roman Abramowitsch 2008 für 33,6 Millionen Euro ersteigerte.

Freud, so Sharp, sei überdies erschöpft gewesen von den riesigen Retrospektiven, war die persönlichen Telefonate mit den Leihnehmern leid. Und er hätte lange auf eine Gelegenheit gewartet, seine ganze Karriere in wenigen Bildern widergespiegelt zu sehen. "Mein gesamtes Werk ist autobiografisch, sagte Freud einmal. Eine Aussage, die das aktuelle Unterfangen zu nichts anderem macht als zum Destillat seines Lebens.

Geglückte Schnittmenge

44 Gemälde sind es letztendlich geworden, das älteste von 1943, das jüngste, unvollendet, von 2011. Sharp erfüllte auch die letzte Bedingung Freuds: "Wenn deine und meine Liste der wichtigsten Bilder sich überschneiden, haben wir ein Projekt". Die Schnittmenge betrug drei Viertel.

Sich auf so wenige Stellvertreter eines Oeuvres festzulegen, erfordert Mut. Kein Problem für Lucian Freud. Der stets intensiv lebende Bohemien suchte das Risiko. Er liebte das Schlittschuhfahren, weil man einbrechen, das schnelle Autofahren, weil man verunglücken, das Spiel, weil man alles verlieren konnte. "Und als er so viel Geld hatte, dass sich das Risiko relativierte, hörte er über Nacht damit auf."

Die Auswahl zeigt sowohl die Transformation von einem Feinmaler mit dem Zobelhaarpinsel, der quasi in Öl zeichnete und dabei wie lackiert wirkende Oberflächen schuf, zu einem unbestechlichen, gnadenlosen Realisten, der, umgestiegen auf Schweineborsten, das Kolorit pastos auftrug. Es sind Bilder seiner unmittelbarsten Umgebung: von seinen Frauen und Kollegen, oder auch eines narbenzerklüfteten Bankräubers, der in Paddington Tür an Tür mit ihm lebte. Darunter ist ein vielsagendes Bild seiner Mutter, die nach dem Tod des Vaters jegliches Interesse am Leben und auch an Lucian verlor. Es zeigt Mutter Lucie gemeinsam mit einer Geliebten Freuds; beide sind sich jedoch niemals begegnet. Ein Missverhältnis, das jeden Betrachter unangenehm ergreift. Der Vater wird in einer monumentalen Stadtlandschaft, der eher erbärmlichen Aussicht aus Freuds Atelier, spürbar. Ein berührendes Bild über Tod und Verfall.

Daher straft die kompakte Schau auch Klischees von Freud als dem Maler, der seinen Modellen gegenüber brutal und lieblos war, Lügen. Der "Meister der Couperose" schönte nichts, zeigte jeden Makel, war aber immer auch an der inneren Wahrheit interessiert. "Meine Porträts sollen die Menschen zeigen, statt ihnen zu ähneln", sagte er. Und: "Ich will nicht, dass das mein Bild wird, sondern ihres". Am brutalsten war Freud mit sich selbst. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 8.10.2013)