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Volkszähler kommen diese Tage in die bosnischen Dörfer (hier in Krušev Do in Ostbosnien). Es ist der erste Zensus seit 1991 und ­demnach seit dem Krieg, in dem 100.000 ­Bosnier ums Leben kamen.

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In Bosnien kursiert zurzeit eine Anekdote, die sich zu Ende des Kriegs abgespielt haben soll: Ein kroatischer Milizionär hielt damals einen Bus mit Flüchtlingen auf, zog die Pistole und forderte alle Reisenden auf, ihm das gesamte Geld abzuliefern. Einer der Flüchtlinge sagte: "Aber wir sind doch auch Kroaten wie du! Das kannst du doch nicht machen!" Der kroatische Soldat antwortete darauf: "Das kann schon sein. Das hier ist aber keine Volkszählung. Das hier ist ein Überfall!"

Die Volkszählung in Bosnien-Herzegowina, die am 1. Oktober begann und bis 15. Oktober dauert, mutet mitunter wiederum wie ein Überfall an. Die Parteien und Kirchen (Katholiken, Muslime, Orthodoxe) versuchen die Bürger dazu zu bringen, das anzukreuzen, was ihre Machtposition stärkt oder absichert. "Glaube: Islam, Nation: Bosniaken, Sprache: Bosnisch", steht vor einer Moschee auf einer Tafel in Ostbosnien, damit jeder weiß, was er anzukreuzen hat. Der Druck ist groß. Die Kirchen behaupten, es sei die "moralische Pflicht" der Leute, sich zu einer Volksgruppe (Bosniaken, Serben, Kroaten) zu bekennen. Und die ethnonationalen Parteien sehen die Volkszählung als Teil des Verteilungskampfes (Posten und soziale Sicherheit) an.

In der Baščaršija in Sarajevo werden hingegen blau-gelbe Herzen mit der Aufschrift: "100 Prozent Bosnier" verkauft. Die Botschaft richtet sich an Leute, die die ethnischen Kategorien und den Ethno-Proporz hinter sich lassen wollen, der im Übrigen von der Internationalen Gemeinschaft im Abkommen von Dayton oktroyiert wurde. Insbesondere in "multikulturelleren" Städten wie Sarajevo oder Tuzla werden sich daher wohl einige supraethnisch als "Bosnier", manche vielleicht aus Spaß als "Marsianer" deklarieren.

Nachdem Nationalisten ein Video mit Kindern gedreht hatten, die dafür warben, sich als "Bosniaken" und ja nicht als "Bosnier" zu deklarieren, tauchte nun ein Gegenvideo auf Youtube auf. Ein Mädchen mit rotem Hut wird befragt: "Was bist du denn?" Das Mädchen antwortet: "Ich bin ein Kind." Und auf die Frage "Und was ist deine Sprache?" ("jezik" heißt auch Zunge) streckt das Mädchen diese einfach hinaus.

Während man sich über die Ethnisierung lustig macht, warnen andere davor, nicht mitzumachen. "Man soll ankreuzen, dass man zu einem der drei konstitutiven Völker gehört, weil sonst hat man ja keine Rechte", sagt etwa die Verkäuferin Enisa B. in dem Geschäft unweit von Srebrenica. Die Frau spricht einen wichtigen Punkt an: In Bosnien-Herzegowina werden alle Bürger, die sich nicht ethnisch deklarieren oder Angehörige einer Minderheit sind, per Verfassung diskriminiert und bekommen keine Posten, die für die drei Volksgruppen reserviert sind.

"Es wäre auch zu einfach, alle, die sich zu einer ethnischen Gruppe bekennen, gleich als Nationalisten abzustempeln", moniert Sabina Wölkner von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Sarajevo. Doch so klar ist die Identitätsfrage für viele nicht. Auf dem Land verstehen sich manche eher als Muslime denn als Bosniaken. Und in der Herzegowina bezeichnen sich manche einfach als Herzegowiner.

Identitätspolitik

Die Volkszählung spiegelt jedenfalls die starke Identitätspolitik in dem vom Krieg gezeichneten Land wider: Für jene Bosniaken etwa, die in "ethnisch gesäuberte" Gebiete zurückkehrten, ist der Zensus eine Möglichkeit, zu dokumentieren, "wie viele von uns früher hier gelebt haben, wie viele ermordet wurden und wie viele wir jetzt hier sind", sagt etwa die Verkäuferin in dem Vorort von Srebrenica. Deshalb sind auch Leute, die im Ausland leben angereist, um sich zählen zu lassen.

In Bosnien-Herzegowina ist die Furcht davor, zu einer Minderheit zu gehören, auf allen Seiten groß. Absehbar ist aber, dass heute weniger Kroaten hier leben als noch 1991 (17,3 Prozent). Das verstärkt Ängste, denn die Kroaten stellen ohnehin das kleinste der drei "konstitutiven Völker" dar. In der mehrheitlich von Serben bewohnten Republika Srpska (RS) wird wiederum die "Entitätsbürgerschaft" beworben. Die RS ist eine von zwei Teilen (Entitäten) des Staates. Führende Politiker der RS streben aber die Sezession von Bosnien-Herzegowina an. Auf dem Volkszählungszettel soll man sich deshalb zur Entität RS "bekennen".

Auswirkungen auf Gesetze oder Finanzen haben diese "Identitätsfragen" allesamt nicht. Für die Verteilung der EU-Strukturhilfen ist die ethnische Zugehörigkeit egal, entscheidend ist, wie viele Leute wo leben. In EU-Kreisen sieht man den Zensus, den man seit langem forderte, nun mit Skepsis. Ein Grund ist die mangelnde Professionalität, die leicht dazu führen könnte, dass das Ergebnis infrage gestellt wird. Pro­blematisch ist etwa, dass ein Familienmitglied für alle anderen antworten kann. Zweitens ist der Datenschutz schon deshalb nicht gegeben, weil die Volkszähler die Zettel am Abend mit nach Hause nehmen - die vorgesehenen Räume zur Sicherung der Fragebögen wurden nicht angemietet. Am Sonntag wurde berichtet, dass ein Volkszähler mit den Fragebögen sogar am Abend über die Grenze nach Serbien reisen wollte.

Schlecht bezahlt

Insbesondere im fragilen Bosnien-Herzegowina geben solche technische Unsicherheiten, Anlass für Verschwörungstheorien. Zudem sind die Volkszähler schlecht bezahlt - ein Euro pro Erhebung, das Benzingeld wird irgendwann refundiert. Unklar ist auch, ob die Daten durch die angereisten Auslandsbosnier stark verändert werden. Eigentlich sollte die Volkszählung ja dafür da sein, die Planung für Infrastruktur und soziale Fragen zu erleichtern. Doch darüber spricht keiner. "Ich werde mich überhaupt nicht zählen lassen", sagt Dražen S. Der 38-Jährige aus dem Dorf Mokro findet, dass es den Staat "überhaupt nichts angeht, ob ich eine Gasheizung habe oder nicht und wie viele Ecken mein Wohnzimmer hat". (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, DER STANDARD, 8.10.2013)