Bild nicht mehr verfügbar.

Nur 50 bis 70 Prozent der psychischen Erkrankungen werden erkannt und diagnostiziert, so die Experten.

Foto: REUTERS/Susana Vera

Psychische Erkrankungen sind keine Angelegenheit einer kleinen Minderheit. Laut einer Studie des Österreichischen Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger nehmen derzeit rund 900.000 Österreicher das Gesundheitswesen wegen psychischer Diagnosen in Anspruch.

Im Laufe des Lebens sei etwa jeder fünfte Österreicher betroffen. Allein rund 500.000 Personen dürften innerhalb eines Jahres an einer Depression erkranken, im Laufe des Lebens jeder fünfte bis siebente Mensch. "Die Leistungen der Krankenkassen betragen dafür rund 800 Millionen Euro pro Jahr", sagt der Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Hans Jörg Schelling.

Gegen falsche Legendenbildung

Bei einer Pressekonferenz aus Anlass der Präsentation eines neuen Informationsbuches zum Thema Depressionen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger in Wien, betonten Experten am 8. Oktober die Notwendigkeit von besserer Information und der Optimierung der Präventions- und Behandlungsangebote für die Betroffenen.

Das vom Wiener Sozialpsychiater Johannes Wancata verfasste Buch "Von der Depression zur Lebensfreude" soll direkt Betroffenen und ihren Angehörigen zur Verfügung gestellt werden. Der Experte setzt sich gegen falsche Legendenbildung zu dieser Erkrankung ein: Depressionen würden entweder als seltene, schwere Erkrankung gesehen, die nur eine Minderheit betreffen, oder als Allerweltsleiden ohne schwere Konsequenzen. Entscheidend sei eine rechtzeitige Diagnose und eine wirksame Behandlung.

"Dass zehn Prozent der Österreicher von psychischen Erkrankungen betroffen sind, befinden wir nicht als Horrorzahl", meint Karl Dantendorfer,  Psychiatrie-Konsulent des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger und federführend bei den burgenländischen psychosozialen Diensten. "Psychische Erkrankungen sind so häufig, wie sie eben sind. Alle internationalen Daten bestätigen das." 

Nur 50 bis 70 Prozent diagnostiziert

Dantendorfer betont die Notwendigkeit frühzeitigen Eingreifens: Gerade bei den Depressionen sollte besser und vernetzter diagnostiziert und behandelt werden: "Wir haben relativ viele Einmal-Verschreibungen von Antidepressiva. Wir wissen aber, dass sie erst nach vier Wochen wirken können." Da seien kein Effekt, nur Kosten zu erwarten. Im Durchschnitt habe man sieben Jahre Zeit von der Erstverschreibung eines Antidepressivums bis zum Antrag auf Frühpensionierung. Diese Zeitspanne gelte es zu nutzen.

"Nur 20 Prozent der Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren mit einer Depression werden diagnostiziert", zeigt die Wiener Kinder- und Jugendpsychiaterin Claudia Klier einen Nachholbedarf bei ihrer Klientel auf. So sei die Krankheitslast im Laufe des Lebens bereits im jugendlichen und mittleren Alter - also früher als bei anderen chronischen Erkrankungen - gegeben. Laut Wancata werden überhaupt nur 50 bis 70 Prozent der psychischen Erkrankungen erkannt und diagnostiziert.

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger will die Frühdiagnose und die Betreuung der Betroffenen optimieren. Dazu zähle auch eine bessere Ausbildung der zukünftigen Allgemeinmediziner, erklärt Schelling. Dantendorfer spricht von "wenigen" Psychiatern, die mit Kassenvertrag versorgungswirksam würden. Er selbst habe eine solche Stelle im Burgenland zeitweise übernehmen müssen, weil sich kein Arzt dafür gefunden habe. Der Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, Georg Psota, ergänzt: "In Wien gib es etwas über 20 Psychiater mit Kassenvertrag." Das sei mit Sicherheit zu wenig, und auch Ausbildungsstellen stünden buchstäblich leer. (APA/red, 8.10.2013)