Vreni Shizzo - eine Puppe personifiziert die Schizophrenie.

Foto: DerStandard/Matthias Cremer

"Die Betroffenen sind ja nicht dumm und erkennen ihre Situation."

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Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, die für Betroffene wie Angehörigen nur schwer zu begreifen ist. Astrid Just will mit einer DVD Verständnis für Schizophrenie schaffen. Was normal ist, definiert die Gesellschaft, sagt sie.

STANDARD: Schizophrenie ist eine Erkrankung, die von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich verläuft. Wie ist für diese CD eine Vereinheitlichung gelungen?

Just:"Vreni Schizzo" ist die dritte DVD in einer Reihe, die sich mit psychischen Erkrankungen befasst. Nach Magersucht und Depression erschien uns Schizophrenie deshalb eine große Herausforderung, weil die Erkrankung so schwer zu definieren ist. Der eine hört Stimmen, der andere glaubt, Menschen können seine Gedanken lesen oder er wird von Dämonen begleitet. Vieles hängt von der Lebensgeschichte und dem Umfeld der Patienten ab. Die DVD ist zusammen mit zwei Kollegen entstanden. Jeder von uns hatte mit der Krankheit auf unterschiedlichen Ebenen zu tun. Unsere Erfahrungen aus Therapie, Psychiatrie, Sozialarbeit und Sachwalterschaft haben wir in einer Figur vereint.

STANDARD: Sie haben eine Puppe als Symbolfigur gewählt. Warum?

Just: Wir nutzen die Möglichkeit des Externalisierens. Das ist eine Technik der systemischen Psychotherapie, in der es gelingt, einen Menschen von seinem problematischen Verhalten zu trennen. Dadurch gewinnt man Distanz und schafft einen neuen Blick auf die Dinge.

STANDARD: Wie gelingt das?

Just: Unsere Hauptdarstellerin verkörpert die Erkrankung, vereint die Mechanismen der Schizophrenie in ihrer Person. Wir haben uns überlegt, was sie mit den Menschen, die von ihr beherrscht werden, macht. Eine zentrale Frage des Externalisierens war: Was sind die Verbündeten und was die Feinde der Schizophrenie? Wir lassen sie in einen Dialog mit einem Therapeuten treten, der sie interviewt und ihre Schwächen entlarvt.

STANDARD: Für wen ist dieser Film gemacht?

Just: Vor allem für Betroffene. Optimalerweise ist die DVD Teil eines Therapieprozesses und soll Patienten helfen, die Mechanismen ihrer Erkrankung selbst zu erkennen und kontrollieren zu lernen. Die DVD kann ein Gedankenanstoß sein, um "Ah, bei mir ist das ja genauso" sagen zu können.

STANDARD: Für wen ist sie noch?

Just: Die DVD soll natürlich auch Angehörige dabei unterstützen, zu begreifen, was mit einem Menschen, der krank ist, passiert. Wichtig ist, die Betroffenen auch mit der Erkrankung weiterhin ernst zu nehmen, gelassen, aber authentisch zu reagieren, auch wenn man die Wahrnehmung von Kranken nicht teilen kann. Es geht auch darum, zu versuchen, trotz der Erkrankung Normalität weiterzuleben, das eigene Leben nicht aufzugeben, das passiert durch die Dynamik der Schizophrenie sehr oft.

STANDARD: Eine der Grundaussagen ist, dass die Krankheit Betroffene und ihre Angehörigen in Isolation drängt. Stimmt das?

Just: Durch die Krankheit brechen soziale Netzwerke weg, die Betroffenen sind ja nicht unintelligent und erkennen ihre Situation. Schizophrenie ist stigmatisierend. Es ist nicht einfach, mit anderen über Wahnvorstellungen zu sprechen. Da gibt es viel Scham, Angst und Unsicherheit. Deshalb ziehen sich viele lieber aus dem sozialen Leben zurück, verlieren Arbeit, Freunde, Familie und Wohnung.

STANDARD: Gibt es einen Weg, dies zu verhindern?

Just: Die soziale Einbindung ist extrem wichtig, weil sie den Erkrankten eine starke Stütze ist. Sofern das Umfeld mit der Situation zurechtkommt, kann das auch gelingen. Es ist immer eine Frage, was eine Gesellschaft noch als normal akzeptiert.

STANDARD: Welche Rolle spielen Medikamente?

Just: Eine wichtige Rolle, ein Leben ohne ist meist nicht möglich.

STANDARD: Sie spielen in der DVD aber eine untergeordnete Rolle?

Just: Ganz absichtlich. Wir wollten unseren Fokus nicht auf den medizinischen Bereich, sondern auf die therapeutischen Möglichkeiten richten, die nach dem Abklingen akuter Symptome wesentlich sind.

STANDARD: Schizophrenie ist nicht heilbar. Wie hilft Psychotherapie?

Just: Sie stärkt die Ressourcen der Menschen. Da geht es um die eigene Identität, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, alles Eigenschaften, die bei Menschen mit schizophrenen Störungen beeinträchtigt sind. Ziel einer Therapie kann auch eine gewisse Krankheitseinsicht sein. Man kann auch Achtsamkeit sagen. Stress, Konflikte oder Schicksalsschläge sind für Menschen mit schizophrenen Störungen besonders gefährliche Situationen. Wenn Patienten das erkennen und sich dann selbst Hilfe organisieren, könnten sie mit der Erkrankung über weite Strecken gut zurechtkommen.

STANDARD: Insofern bräuchten Kranke auch nicht lebenslang Therapie?

Just: Ich würde sagen, nein. Wer ein gewisses Maß an Selbstkontrolle aufrechterhält und sozial gut eingebunden ist, kann ein eigenständiges Leben führen. Es hängt stark von den individuellen Ressourcen ab.

STANDARD: Die meisten Kranken sind allerdings besachwaltet.

Just: Das stimmt. Unsere DVD soll einen Beitrag zur gesellschaftlichen Bewusstwerdung über die Erkrankung leisten. Das erfordert einen Umdenkprozess bei Gesunden. Man wird Schizophrenie vielleicht nicht sofort los, aber man kann lernen, Symptome zu kontrollieren. Eine Therapie hilft, handlungsfähig zu werden oder es zu bleiben. Menschen, die auf die Psychiatrie kommen, ist meist die Kontrolle entglitten. (Karin Pollack, DER STANDARD, 14.10.2013)