Kurosch Yazdi

Foto: Khakpour

STANDARD: Warum lassen sich unter den Migranten überdurchschnittlich viele junge Männer auf Glücksspiele ein?

Yazdi: Bei vielen von ihnen ist das Glücksspiel Teil der Freizeitaktivität. In diesem sozialen Raum, dem Wettbüro, treffen sie Freunde und sind beisammen. Das Soziale steht am Anfang im Mittelpunkt, aber nebenbei wird trotzdem ständig gespielt und gewettet. Gerade dort, wo viele Migranten leben, gibt es so viele Wettbüros und Spielhallen, dass man sich fragen muss, warum die Gesellschaft jungen männlichen Migranten keine anderen Freizeitmöglichkeiten bietet. Interessant ist, dass viele Migranten im Herkunftsland ihrer Eltern nicht spielen würden: Es handelt sich also um ein transkulturelles Phänomen, das nicht aus der Kultur stammt, aus der einer kommt, und auch nicht aus jener, in der er als Migrant in der neuen Heimat lebt - sondern um etwas Neues.

STANDARD: Und dieses Neue macht süchtig?

Yazdi: Ja. Die Daten zeigen, dass Migranten überdurchschnittlich viel spielen. Doch das hat viel mit der sozialen Zugehörigkeit zu tun. Ärmere Menschen und Arbeitslose spielen mehr als andere. Da Migranten durchschnittlich schlechtergestellt sind, sind sie öfter betroffen.

STANDARD: Wer ist besonders gefährdet, spielsüchtig zu werden?

Yazdi: Grundsätzlich sind alle Menschen betroffen, aber zum Beispiel Arbeitslose stärker als andere. Doch auch der Migrationshintergrund hat einen Einfluss, allein schon deshalb, weil nicht überall in Österreich gleich viele Einwanderer leben. Wenn man zum Beispiel Tankstellen in Oberösterreich besucht, so stellt man fest, dass dort viele illegale Automaten stehen, die vorzugsweise von älteren autochthonen Österreichern genutzt werden. Migranten sind an diesen Orten wenige zu finden.

STANDARD: Kommen viele Migranten in Ihre Spielsucht-Ambulanz?

Yazdi: Leider kaum, also viel zu selten. Das hat verschiedene Gründe: Erstens ist oft eine Sprachbarriere vorhanden - und wenn ich mich nicht verständigen kann, hole ich mir seltener Hilfe. Das zweite Problem ist, dass Menschen mit niedrigerem sozioökonomischen Status generell weniger Unterstützung suchen. Und dann kommen zur Sucht noch Scham und Schande hinzu. Häufiger als die Betroffenen selber kontaktieren uns deren Ehefrauen. Sie wollen ihren Partner dazu bringen, sich bei uns zu melden.

STANDARD: Was tun Sie, um die Männer dazu zu bringen?

Yazdi: Wir versuchen, sie durch Kooperationen und Projekte zu erreichen, aber es ist noch immer schwer, diese Gruppen abzuholen. Wir haben geschulte Peers mit Migrationshintergrund, die Kontakt zu den Frauen von Spielsüchtigen aufnehmen. Ziel ist es dann, die Ehemänner oder Freunde dazu zu bewegen, die Ambulanz aufzusuchen. Aber das misslingt oft: Die allermeisten, die zu uns kommen, sind Österreicher mittleren Alters. (DER STANDARD, 8.10.2013)