Ankara - In der Türkei sind lange Haftstrafen gegen mehrere hundert Ex-Militärs wegen eines Putschversuches bestätigt worden. Der Berufungsgerichtshof in Ankara stimmte am Mittwoch der Verurteilung von 237 Angeklagten durch ein untergeordnetes Gericht zu. Damit bleiben Ex-Kommandanten wie die früheren Chefs von Luftwaffe und Marine hinter Gittern. Die Opposition kritisierte die Entscheidung als Zeichen für den Druck der Regierung auf die Justiz.

Das Urteil des Berufungsgerichts war mit Spannung erwartet worden, weil es als richtungsweisend für andere Prozesse gegen Gegner von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gilt. Erst im August waren der frühere Generalstabschef Ilker Basbug sowie mehr als 200 weitere Angeklagte in einem anderen Prozess wegen Putschvorbereitungen zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Kritiker werfen Erdogans islamisch-konservativer Regierungspartei AKP vor, eine Kampagne zur Untergrabung des Rufs der strikt säkularistischen Armee zu führen.

"Vorschlaghammer"

In dem Verfahren vom Mittwoch ging es um insgesamt 361 Angeklagte, die einen Putschplan namens "Vorschlaghammer" ("Balyoz") zum Sturz Erdogans ausgearbeitet haben sollen. In erster Instanz waren die meisten von ihnen im vergangenen Jahr von einem Istanbuler Gericht zu langen Haftstrafen verurteilt worden.

Der Berufungsgerichtshof in Ankara folgte in seiner Entscheidung vom Mittwoch in den meisten Fällen der Ansicht des Istanbuler Gerichts. Die Berufungsrichter ordneten in ihrer einstimmigen Entscheidung allerdings die Freilassung von 88 Angeklagten an.

Angehörige der Angeklagten sprachen von einem Skandalurteil. Nilgün Dogan, Ehefrau des als Hauptverdächtigen zu 20 Jahren Haft verurteilten Ex-Generals Cetin Dogan, sagte, in der Türkei seien "Gerechtigkeit und Justiz erledigt". Vor dem von der Polizei abgeriegelten Gerichtsgebäude in Ankara protestierten mehrere hundert Regierungsgegner gegen das Urteil.

Gang vor Verfassungsgericht

Die Oppositionspartei CHP sprach von einem Beispiel für eine politisierte Justiz. Es handele sich "nicht um eine Entscheidung der Justiz, sondern um eine Entscheidung der Regierung", sagte die CHP-Politikerin Emine Ülker Tarhan.

Die Verteidiger erwägen nach Angaben aus Verteidigungskreisen nun einen Gang vor das türkische Verfassungsgericht. Sie hatten der Staatsanwaltschaft im Laufe des Verfahrens vorgeworfen, mit gefälschten Beweismitteln operiert zu haben. Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts stünde den Betroffenen noch eine Klage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof offen.

Die Armee hatte in der Türkei lange Zeit eine beherrschende Stellung inne. Seit 1960 verdrängten die Generäle vier gewählte Regierungen von der Macht, 2007 drohten sie offen mit einem Putsch gegen Erdogan. Der Ministerpräsident hatte in den vergangenen Jahren mit einer Reihe von Reformen den Einfluss der Militärs auf die Politik zurückgedrängt. (APA, 9.10.2013)