Die Krebstherapie erlebt einen Paradigmenwechsel. Statt relativ breit gestreuter Chemotherapie soll in Zukunft die passgenaue, individualisierte Behandlung mit spezifisch wirkenden Medikamenten stehen. "Es geht eine neue Tür auf. Wir werden Dinge anders machen als in den vergangenen 50 Jahren und Medikamente viel spezifischer einsetzen", sagt Helmut Samonigg, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (OeGHO) im Vorfeld des Onkologie-Jahreskongress', der von 18. bis 22. Oktober in Wien stattfindet.

Neue Klassifizierung, neue Erkenntnisse

Die Kenntnis der genetischen Merkmale des einzelnen bei einem Patienten vorliegenden Tumors führe dazu, dass man nicht mehr von "dem Mammakarzinom", "dem Dickdarm-" oder "dem Magenkarzinom" sprechen könne.  Stattdessen würden Onkologe und Hämatologie in Zukunft die Einteilung zunehmend nicht mehr nach dem betroffenen Organ treffen, sondern nach den zum Beispiel vorliegenden Mutationen, welche das Wachstum der bösartigen Zellen antreiben. Genau an diesen Punkten sollten die Medikamente zielgenau wirken. "Wir sind bereits dabei, die schrotschussartige, unspezifische Chemotherapie zurückzudrängen", so Samonigg.

Völlig neue Erkenntnisse gebe es auch zur Entwicklung und zum Verlauf von Tumorerkrankungen. "Wir werden in der Lage sein, die individuelle Gensequenz von Tumoren zu untersuchen und die genetischen Veränderungen im Laufe einer Tumorerkrankung zu sehen", sagt Samonigg. Schon jetzt wisse man, dass sich primäre Tumoren von später auftauchenden Metastasen genetisch unterscheiden - das könnte die Möglichkeit bieten, im Rahmen der Therapie auch ständig auf solche Veränderungen zu reagieren.

Das alles macht die Diagnose und die Auswahl der passenden Therapie für die Patienten immer komplexer. "Die Frage ist, was wir mit allen diesen Informationen tun. Wir sequenzieren das Genom von Tumorzellen und finden zehn bis 30 mutierte Gene. Um zu erfahren, welche Mutationen die jeweils wichtigen sind, die man mit einer zielgerichteten Therapie angeht, werden wir uns auch IT-Lösungen zunutze machen müssen", sagt Ulrich Jäger von der MedUni Wien. 

Umbruch in der Onkologie

Das System der Zukunft könnte laut den Experten so aussehen: Man sequenziert das Genom der Tumorzellen und schickt es an eine eine Bioinformatik-Institution, wo sie mit den zur Verfügung stehenden Informationen über die Wirksamkeit von Arzneimitteln bei spezifischen Mutationen verglichen werden. Daraus wird ein Therapievorschlag abgeleitet und geht an die Kliniker zurück. Unter zusätzlicher Verwendung von Gewebeproben könnte das sogar ähnlich wie die Austestung der Wirksamkeit von Antibiotika bei Infektionen funktionieren. Die Onkologen und Hämatologen an der MedUni Wien im AKH sind bereits dabei, ein solches Projekt ("Exact") zu realisieren. Auch in Graz, so Samonigg, gibt es bereits solche Aktivitäten.

Dieser Umbruch in der Hämatologie und Onkologie wird aber auch die Krebsforschung völlig umgestalten, so Samonigg: "Wir werden für klinische Studien die Probandengruppen viel genauer definieren können." In diesen Untersuchungen würden nicht mehr nur 30 oder 40 Prozent der Probanden von einer neuen Therapie profitieren, sondern 60 und mehr Prozent. Dafür werde man kleinere Studien mit möglichst genau für die jeweilige Fragestellung passenden Patienten durchführen.

Das alles erfolgt auch vor dem Hintergrund, dass sich durch neue Diagnoseverfahren Krebserkrankungen in ihrem Verlauf praktisch permanent verfolgen lassen. Besonders vielversprechend ist in diesem Zusammenhang die Detektion von Tumorzellen im Blut. Damit lässt sich eventuell ein drohender Rückfall bereits erkennen, bevor man diesen über bildgebende Verfahren oder gar erst über auftretende Symptome spät erkennt. (APA, derStandard.at, 11.10.2013)