Maia Panjikidze: "Rote Linien" der georgischen Politik.

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Außenministerin Maia Panjikidze informierte darüber den Ständigen Rat der OSZE in Wien.

STANDARD: Russland errichtet an der Grenze der abtrünnigen georgischen Region Südossetien Stacheldrahtzäune, was gegen das Abkommen nach dem Krieg 2008 verstößt. Will Moskau unumkehrbare Fakten schaffen? Entsteht dort so etwas wie eine Berliner Mauer in kleinerer Dimension?

Panjikidze: Sie haben die Situation sehr gut beschrieben. Leider haben wir außer der internationalen Unterstützung kein anderes Mittel, das zu verhindern, weil wir von Anfang an gesagt haben, wir werden uns nicht provozieren lassen und keine Gewalt anwenden. Nicht nur weil wir glauben, dass man alle Konflikte friedlich lösen muss, sondern weil wir Rücksicht auf unsere Bevölkerung nehmen und ihre schwierige Situation nicht zusätzlich erschweren wollen. Aber es kann sehr bald eine fixe Grenze an der Okkupationslinie geben.

STANDARD: Hat die EU, die das Abkommen 2008 ja vermittelt hat und auch eine Beobachtungsmission stellt, angemessen reagiert?

Panjikidze: Wir haben in den letzten Wochen eine ziemlich starke Unterstützung von der EU bekommen, es gab eine Erklärung der Nato und auch eine starke Erklärung der USA, ebenso von den Visegrád-Staaten und einigen Partnerländern. Also, die internationale Reaktion war angemessen, und wir haben diese Unterstützung sehr dankbar aufgenommen, obwohl man dadurch nicht wirklich verhindern kann, dass dieser Prozess weitergeht.

STANDARD: Die USA sind in der Syrien-Krise auf die Kooperation Russlands angewiesen. Haben Sie da mit der Forderung nach Rückkehr Südossetiens und Abchasiens, der zweiten abtrünnigen Region, in den georgischen Staatsverband nicht schlechte Karten?

Panjikidze: Man sollte die Themen voneinander trennen. Warum sollte der eine positive Prozess einen anderen positiven Prozess stören? Im Gegenteil: Das sollte die Motivation stärken, Konflikte friedlich zu lösen.

STANDARD: Ministerpräsident Bidsina Iwanischwili, der sein Milliardenvermögen in Russland gemacht hat und zu dessen Vertrauten Sie zählen, wird ein guter Draht zu Moskau nachgesagt. Wenn der Kandidat Ihrer Bewegung "Georgischer Traum" die Präsidentschaftswahl am 27. Oktober gewinnt, ist dann eine Wende in den Beziehungen zu Russland zu erwarten - auch unter dem Aspekt, dass der amtierende Präsident Michail Saakaschwili ein rotes Tuch für Kreml-Chef Wladimir Putin ist, und umgekehrt?

Panjikidze: Iwanischwili hat zwar sein Vermögen in Russland verdient, jedoch mit sauberen Händen. Er ist aber seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in Russland gewesen und kennt auch die russische Führung nicht persönlich. Also hat er keinen besonderen Draht zu Russland. Sein besonderer Draht ist eine andere Politik, und die ist nicht aggressiv wie in der Zeit der früheren Regierung und in der Zeit Saakaschwilis. Diese Zeit endet jetzt. (Saakaschwili darf nicht mehr kandidieren, Anm.) Ich hoffe, dass unser Kandidat gewinnt. Was zählt, ist, dass die Einstellung zu Russland eine ruhigere Tonlage bekommen hat, und nicht die konkreten Personen. Ich hoffe, dass die positive Dynamik, die wir im anderen Verhandlungsformat mit Russland haben (u. a. Wirtschaftsbeziehungen, Anm.), sich eines Tages auf das Politische überträgt. Im Moment ist das nicht der Fall, und die Russen widersprechen sich selber, wenn sie die Situation an der Okkupationslinie verschärfen.

STANDARD: Nato- und EU-Beitritt sind die innenpolitisch weitestgehend unumstrittenen Prioritäten der georgischen Außenpolitik. Würde Georgien auf einen Nato-Beitritt verzichten, wenn es dafür Südossetien und Abchasien zurückbekommt?

Panjikidze:: Die Frage ist rein hypothetisch. Zu den roten Linien der georgischen Außenpolitik zählen die Forderung nach dem Ende der Okkupation Südossetiens und Abchasiens und ihre Nichtanerkennung als unabhängige Staaten sowie die Freiheit der Wahl, welcher Union und welcher Allianz wir beitreten wollen. Diese Punkte stehen nicht zur Diskussion.

STANDARD: Wäre Georgien mit international überwachten Referenden in Südossetien und Abchasien über die Zukunft dieser Regionen einverstanden?

Panjikidze: In Georgien leben mehr als 300.000 Flüchtlinge und Vertriebene. Die müssen zuerst in ihre Häuser zurückkehren. Wenn das der Fall ist, dann kann ich mir auch ein Referendum vorstellen.

STANDARD: Sie sagen, Ihre Regierung wolle Vertrauen zu der Bevölkerung in Südossetien und Abchasien aufbauen. Wie konkret?

Panjikidze: Es gibt viele Möglichkeiten, in allen Bereichen des Lebens. Die Kontakte zwischen den Menschen funktionieren, die muss man intensivieren. Man muss klein anfangen, um Großes zu erreichen.

STANDARD: Beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft der EU im November in Vilnius hofft Georgien auf die Paraphierung des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens. Im Vorfeld hat Russland den Druck auf die Partnerländer, vor allem die Ukraine, erhöht. Moskau sieht das sogenannte nahe Ausland als seine natürliche Einflusszone. Was müsste geschehen, dass sich dieser Grundzug der russischen Außenpolitik ändert?

Panjikidze: Im 21. Jahrhundert kann man nicht mehr in Begriffen wie Einflusszone und nahes Ausland denken. Das tut auch dem russischen Staat nicht gut. Aber eine demokratische Entwicklung ist überall möglich, auch in Russland. Und daran glaube ich. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 12./13.10.2013)