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Vergogna, übersetzt Schande oder Scham, steht auf einer schwarzen Fahne, die im Hafen von Lampedusa gehisst wurde.

Foto: AP/Luca Bruno

Eine Woche ist es her, da ertranken mehrere hundert Flüchtlinge beim Versuch, auf der Insel Lampedusa zu landen. Ihr Boot war unweit des Hafens in Seenot geraten, nur wenige halfen.

Nun kommen erneut Berichte über Flüchtlingsboote, die die zu Italien gehörenden Mittelmeerinsel anpeilen, an Bord hunderte Menschen. Am Freitag kenterte erneut eines davon. Diesmal wurden 240 der rund 300 Insassinnen und Insassen gerettet - aber für 50 Menschen endete die Reise in die hochgelobte Europäisache Union tödlich.

Diese Berichte, und der Umstand, dass jetzt offenbar noch mehr Flüchtlingsschiffe als sonst auf der Mittelnmeerroute nach Lampedusa unterwegs sind, geben zu zusätzlicher Besorgnis Anlass - wenn man sich gleichzeitig die politischen Reaktionen der letztentscheidenen EU-Innenministerinnen und -Innenminister auf den Massentod vor einer Woche vergegenwärtigt.

Jetzt oder nie!

Die Politikerinnen und Politiker nämlich schlossen Einreiseerleichterungen und solidarisches Handeln der europäischen Nationen in Flüchtlingsfragen aus. Statt dessen kündigten sie an, noch härter als bisher gegen Schlepper vorgehen zu wollen. Das wiederum ist bei diesen, seien es nun simple Fluchthelfer oder menschenverachtende Kriminelle, offenbar als klares Signal angekommen: jetzt oder nie!

Anscheinend versuchen sie, derzeit so viele Menschen wie möglich nach Europa zu verschiffen, um den in Aussicht gestellten Verschärfungen zuvorzukommen. Diese werden wohl mit der ganzen Wucht technischer Überlegenheit von Frontex- und europäischen Küstenwacheinheiten auf See abgesichert sein. Schnellboote, Hubschrauber, Sateliten, vielleicht gar Drohnen: eine kriegsähnliche Aufrüstung, geeignet, die Lampedusa-Flüchtlungsroute zum Erliegen zu bringen.

Um jeden Preis

Aktuell heißt das: Noch mehr Menschen als in den Wochen und Monaten davor setzen sich auf den Seelenverkäufern akuter Lebensgefahr aus. Mehr Menschen drohen zu ertrinken. So schauen die Folgen der immer martialischeren Migranten- und Flüchtlingsabwehr an den europäischen Außengrenzen aus, so droht es weiterzugehen: Dass die, die um jeden Preis nach Europa wollen, noch mehr Risiken auf sich nehmen.

Das hat damit zu tun, dass Personen, die den Bürgerkriegen des Nahen Ostens, menschenrechtsverachtenden Staaten der Subsahara oder den dort spürbaren Folgen des Klimawandels entfliehen, außer ihr Leben nichts mehr zu verlieren haben. Tatsächlich dürfte der Anteil so genannter Wirtschaftsflüchtlinge, die auf ein besseres Leben im reichen Europa spekulieren, auf den seeuntüchtigen Booten überschaubar sein.

Es ist anzunehmen, dass die, die die Flüchtlingsabwehrmaßnahmen planen, das wissen - und sich auf einen lange andauernden Konflikt einstellen. Der europäischen Öffentlichkeit jedoch, die durch den Massenertrinkungstod vor Lampeduas aufgeschreckt wurde, ist anscheinend aber noch nicht ganz klar, was auf den Kontinent der Menschenrechte zukommt, wenn von der Abschottungsstrategie kein Abstand genommen wird: zunehmender Gewalteinsatz gegen Wehrlose ohne jede Lösungsperspektive. (derStandard.at, 12.10.2013)