Die erste Ernte des "Gefängnisweines" brachte 2700 Flaschen, die reißenden Absatz fanden.

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Nur auf den ersten Blick eine Idylle: der Hafen von Gorgona, das seit 1869 eine Strafkolonie ist.

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Gefängnisdirektorin Maria Grazia Giampiccolo: "Funktioniert nur mit der Außenwelt."

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Lamberto Frescobaldi im Weingarten von Gorgona: "Chance für das Leben in Freiheit."

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Gorgona - Durch die Gassen des Hafenortes von Gorgona schlendern keine Touristen, niemand schwimmt in den Buchten der winzigen Insel. Fischschwärme tummeln sich ungestört im glasklaren Wasser, denn die Fischerboote aus dem 19 Seemeilen entfernten Livorno und von den anderen Inseln des Toskanischen Archipels dürfen sich der Küste vor Gorgona nicht nähern.

Auf der letzten Gefängnisinsel Italiens darf nur das Polizeiboot anlegen. Gorgona ist seit 1869 eine Strafkolonie, auf der bis zu 100 männliche Gefangene, die sich durch gute Führung ausgezeichnet haben, die letzten Jahre ihrer Haft verbringen. Sie sitzen wegen schwerer Verbrechen: bewaffneter Überfall, Körperverletzung, Mord. Gitter gibt es nur im Zellengebäude. Tagsüber arbeiten die Häftlinge in der Landwirtschaft und dürfen sich frei bewegen.

Bisher blieben die Erzeugnisse aus Gärten und Feldern auf der Insel und wurden von den Gefangenen sowie von der Gefängnispolizei konsumiert. Seit kurzem aber stellen die Insassen unter der Leitung des renommierten toskanischen Weinerzeugers Marchesi de' Frescobaldi einen biologischen Qualitätswein her, der jenseits der Insel Wellen schlägt.

50 Euro pro Flasche

Auf einem Hektar bauen die Häftlinge unter Aufsicht einer Handvoll Mitarbeiter von Marchesi de' Frescobaldi die Rebsorten Ansonica und Vermentino an. Die Ernte 2012 ergab 2700 Flaschen des fruchtigen Weißweins "Gorgona", die seit Juni in einigen der exklusivsten Restaurants und Weinhandlungen Italiens für 50 Euro pro Flasche verkauft werden. Das mit drei Michelinsternen bekrönte Weinlokal Enoteca Pinchiorri in Florenz hat dem Wein sogar ein eigenes Gericht gewidmet.

Der Kopf hinter dem Projekt ist die Gefängnisdirektorin Maria Grazia Giampiccolo. Sie hat schon mit einer Aktion im Gefängnis von Volterra für Furore gesorgt. Einmal im Monat bewirten die Insassen des toskanischen Gefängnisses Gäste von draußen im improvisierten Gefängnisrestaurant. "Resozialisierung funktioniert nur in Zusammenarbeit mit der Außenwelt. Wir brauchen Partner aus dem Arbeitsleben, die den Insassen Kompetenzen vermitteln und ihnen eventuell sogar nach der Entlassung eine Anstellung bieten können", sagt Giampiccolo.

Mails an Weinfirmen

Als die energische 52-Jährige vor zwei Jahren die Direktion von Gorgona übernahm, schrieb sie etliche E-Mails an italienische Weinfirmen mit der Frage, ob sie in den kleinen Weingarten der Insel investieren wollten. Lamberto Frescobaldi, Vizepräsident des 700 Jahre alten Weinimperiums, antwortete als Einziger. Das Unternehmen stattete den Weinkeller aus und sanierte den verwahrlosten Weingarten mithilfe der Häftlinge. Ein Önologe und ein Winzer des Weinhauses kommen regelmäßig auf die Insel, um die Weinherstellung zu beaufsichtigen und den Häftlingen das nötige Know-how zu vermitteln.

Für die Arbeit im Weinanbau verdienen die Gefangenen 4,52 Euro brutto pro Stunde. Die Expertise wandert aber nach Entlassung von der Insel ab, zum Leidwesen von Lamberto Frescobaldi: "Der erste Winzer, den wir hier ausgebildet haben, war ein Sizilianer, hervorragend in seinem Fach. Als er mir eines Tages strahlend erzählte, dass er in vier Monaten freikommt, war meine erste Reaktion ,Oh nein, wie schade!'".

Der Marquis, der sich lieber mit seinem Vornamen anreden lässt als mit seinem Adelstitel, sagt, dass die Kosten die Einnahmen aus dem Weinverkauf derzeit noch übersteigen. Ihm gehe es aber darum, dass die Insassen die Chance bekämen, sich auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Frescobaldi hat sich bereiterklärt, einige der Ex-Gefangenen anzustellen.

Atypischer Winzer

Brian Baldassin ist einer der atypischen Winzer. Der 30-Jährige aus Treviso pflügt die Erde zwischen den Weinstöcken und zupft vergilbte Blätter von den Reben. Die Tätowierungen auf Händen und Armen erzählen von den Jahren, die er im Knast verbrachte, und von einem Leben, in dem er anderes tat, als Weinreben zu versorgen. "Im normalen Gefängnis wird man aggressiv, weil man nichts zu tun hat, man macht tausend Pläne, aber setzt keinen davon in die Tat um. Hier mache ich etwas Nützliches, ich arbeite den ganzen Tag an der frischen Luft", sagt Baldassin. Viereinhalb Jahre bleiben ihm noch auf der Insel. Danach hofft er Arbeit im Weinbau zu finden, vielleicht sogar bei Frescobaldi.

Die Abgeschiedenheit der Insel sorgt zwar dafür, dass die Natur weitgehend unberührt bleibt, birgt aber auch Probleme. Mitte September ging während der letzten Lese der Motor der Weinpresse kaputt. Wegen des hohen Seeganges konnte das Boot mit den Ersatzteilen nicht im ungeschützten Hafen von Gorgona anlegen. Hätte nicht ein technisch begabter Häftling die Idee gehabt, den Motor durch den eines ausgedienten Traktors zu ersetzen, wäre die Ernte verdorben und ein Jahr harter Arbeit verlorengegangen.

Qualifizierter Nichttrinker

Im Weinkeller rührt der Sizilianer Benedetto Ceraulo den Most mehrmals täglich um, seiht den fertigen Most ab und misst die Temperatur des Weins, der schon in den Fässern fermentiert. Als einer der wenigen Nichttrinker auf der Insel hat er sich für den Posten zwischen den Barriquefässern qualifiziert. "Ich bin auf dem Land aufgewachsen, meine Eltern waren Bauern", erzählt Ceraulo. "Als ich jung war, fand ich alles, was mit dem Leben auf dem Land zu tun hatte, unsinnig. Jetzt finde ich das wunderschön. Wenn ich wieder frei bin, will ich zu meinen Wurzeln zurückkehren und selber Wein anbauen." (Christine Pawlata, DER STANDARD, 14.10.2013)