Die Österreicher neigen dazu, Zustände zu produzieren, die sie hinterher beklagen. Rund 70 Prozent sind laut Market unzufrieden mit jenem Wahlausgang, der die Weiterführung der Koalition der beiden stärksten Parteien ermöglicht.

Umso wichtiger ist die Forderung von ÖVP-Chef Michael Spindelegger, eine "Koalition neu" zu formieren. Er hat sie an die SPÖ gerichtet, aber sie gilt genauso für die eigene Partei und für ihn selbst.

Denn in einem zentralen Punkt, das höhere Schulwesen auf europäisches Niveau zu bringen, ist die Volkspartei gespalten. Die Landeshauptleute von Salzburg, Tirol und Vorarlberg haben sich erst vor wenigen Tagen wieder für eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen ausgesprochen - nach Südtiroler Vorbild übrigens. Wenn es Spindelegger ernst ist mit Reformen, muss er die Blockade der Lehrergewerkschaft und des Beamtenchefs Fritz Neugebauer brechen. Geschieht das nicht, entpuppt sich der bisherige Vizekanzler als Papiertiger.

Die zweite Baustelle im Bildungswesen sind die Wissenschaften. Für die Forschung wurde zwar in den letzten Jahren mehr Geld ausgegeben, Länderinteressen bremsen die Fortschritte jedoch. Bevor unsere Universitäten nicht zum EU-Niveau aufgeschossen haben, sollte es keine Neugründungen (daher auch keine Medizin-Fakultät in Linz) geben.

Eine der Ursachen für den massiven Abfluss von ÖVP-Stimmen zu den Neos ist der Steuerdruck auf den Mittelstand. Unternehmensneugründungen zu propagieren, um sie dann durch Abgaben- und Regelungsdruck wieder abzuwürgen, ist mehr Fesselung denn "Entfesselung". Bernhard Felderer, Präsident des Staatsschuldenausschusses, hat in einem Standard-" Montagsgespräch" spürbare Erleichterungen verlangt.

SPÖ und ÖVP verantworten in der Ausländerfrage eine skandalöse, weil inhumane Abschiebepraxis. Deshalb hört man immer öfter die Einschätzung, dass "Gauner dableiben können und Integrierte abgeschoben werden". Die Beurteilung der Fälle sollte daher auch von der Einschätzung der Wohngemeinden abhängig gemacht werden.

Ein permanentes Übel ist der Zustand der Entwicklungshilfe. Die Investitionen sind erst jetzt wieder von 0,36 % (vom Bruttonationalprodukt) auf 0,28 % zurückgeschraubt worden. Gerade weil Österreich viele gute Projekte laufen hat, wäre mehr auch gut für das Land. Ein Beispiel: Der Süden Afrikas wird in den nächsten Jahrzehnten eine Bevölkerungsexplosion erleben. Daher die Frage: Wie diese Menschen ernähren? Da könnten Forschung, Agro-Industrie und Ministerien Projekte aufbauen, die Österreich "entfesseln" - bis hin zu Wohn- und Sozialkonzepten.

Sogar die Wirtschaftskammer, die eine "abgesandelte" Ökonomie beklagt, oder die Arbeiterkammer, deren Thinktanks im Interessenfilz verkommen sind, könnten in Kooperation mit einer "Koalition neu" Anläufe wagen.

Zu erwarten ist jedoch, dass alter Wein in neue Schläuche gegossen wird. Der klischeehafte Vergleich entspricht den Befürchtungen. Die Politiker könnten sie widerlegen. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 14.10.2013)