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Nicht Luxusgüter machen Neider neidisch. Es ist das Gefühl, das im Besitzer vermutet wird, das dem Beneideten nicht vergönnt wird.

Foto: APA/Franz Jaksche

Jeder ist es, und keiner will es sein, geschweige denn zugeben, dass er es ist. Neidisch zu sein ist moralisch verwerflich, böse und sozial völlig inakzeptabel. Unter den sieben Todsünden nimmt der Affekt Neid damit eine Sonderstellung ein. Egal ob Wollust, Habgier, Zorn, Trägheit, Stolz oder Völlerei - all diese Sünden entspringen einem Lustprinzip, sind menschliche Bedürfnisse, also durchaus auch positiv besetzt. Nicht so der Neid - er wird vom Neider wie vom Beneideten als ausschließlich negativ erlebt. "Neid ist die einzige Todsünde, die keinen Spaß macht", schreibt der amerikanische Essayist Joseph Epstein in seinem Buch "Neid - die böseste Todsünde" und bringt es auch mit dem Titel auf den Punkt.

Evolutionspsychologisch betrachtet steht der Neid ebenfalls für sich allein. Er besitzt keinerlei Funktion, und damit stellen sich Psychologen die Frage, ob der Neid überhaupt zu den Affekten gezählt werden kann. "Affekte sind für das Überleben notwendig", sagt Ulf Lukan, Psychoanalytiker und Neidforscher in Graz. "Beim Neid kann davon keine Rede sein." Eine Ausnahme gibt es jedoch: Der Futterneid - eine Gemütsregung, die aus der Angst resultiert, nicht ausreichend Nahrung zu bekommen - war ursprünglich dem eigenen Überleben durchaus zweckdienlich. Dieses Phänomen lässt sich auch heute noch beobachten. Zugreifen, bevor andere es tun - eine effektive Methode, sich gegen die drohende Gefahr einer eventuellen Verteilungsungerechtigkeit zu wehren.

Konstruktiver Neid

"Aktuell gibt es auch Bemühungen, dem Neid eine konstruktive Seite für das Überleben abzugewinnen", sagt Lukan. In der Arbeitswelt kommt dieser Aspekt ganz besonders zum Tragen. Hier kann der Neid stimulierender Ansporn sein, selbst zu erreichen, was man anderen neidet.

Der Volksmund versteht Neid gemeinhin allerdings weniger als konstruktiv denn als zerstörerisch. Sprüche wie "Neid frisst auf", "Vom Neid kommt einem die Galle hoch", "Neid ist Gift" beziehungsweise "Neid ist wie ein böses Geschwür" machen das nur allzu deutlich.

Inwiefern sich der Neid auch gesundheitlich schädigend auswirkt, lässt sich aber nur schwer festmachen. "Grundsätzlich kann sich der dauernde Vergleich und das Gefühl, permanent schlecht auszusteigen, natürlich in psychosomatischen Problemen manifestieren", sagt Lukan. Die Kunst des Psychoanalytikers ist es aber, überhaupt ein Neidproblem hinter der körperlichen Symptomatik zu erkennen.

Minderwertigkeitsgefühle bestimmen das Leben des krankhaften Neiders, die - so Lukan - vor allem auf Mangelerfahrungen zurückzuführen sind. "Menschen, die in ihrer frühen Entwicklung emotionale Vernachlässigung erfahren haben, gelingt es schlechter, die Balance zu halten und mit Abwehrmechanismen Neidgefühle nicht die Oberhand gewinnen zu lassen", sagt der Neidforscher. Gänzlich vermeiden lässt sich der Neid nicht, ein höherer Selbstwert kann ihn aber beispielsweise in ehrgeizigere Formen lenken.

Schmerzlicher Neid

Manchmal geht der Neid sogar so weit, dass er strafrechtlich relevant wird. Ein Brandstifter, der 2011 in Berlin über 100 Fahrzeuge in Brand gesetzt hatte, rechtfertigte seine Tat vor Gericht mit den Worten: "Ich habe es aus Neid getan." Der Neid darüber, dass andere Menschen im Besitz dieser Luxusgüter sind, haben dem Mann sieben Jahre Haft eingebracht.

Um das Objekt Auto ging es, wie beim Neid generell, dabei nur indirekt. "Es ist eher das Gefühl, das ich im anderen aufgrund seines Besitzes vermute", sagt Lukan. Der Neider neidet dem Beneideten sein sattes, zufriedenes Gefühl und glaubt, es durch den Besitz zu erlangen. "Das ist eine sehr archaisch-primitive Vorstellung und zeigt auch, wie fragil unsere Zufriedenheit ist", so der Grazer Neidforscher.

Im Gegenzug eröffnet sich hier die Frage, warum der Mensch aber doch weitgehend so stabil ist, dass er nicht jedem alles neidet. An dieser Stelle bringt Lukan den Begriff des Vergleichs ins Spiel, der im Gefühl des schmerzlichen Neids enden kann. "Wir sind Wesen, die im permanenten Vergleich leben", sagt Lukan. Es liegt also in unserer Natur zu vergleichen. Und dieser Vergleich macht uns anfällig - anfällig, neidisch zu sein.

"Grauslicher Charakterfehler"

Der Neid ist damit universell und keine persönliche Angelegenheit. Mittlerweile ist sogar schon von ganzen Neidgesellschaften die Rede. "Hier werden berechtigte Anliegen desavouiert", sagt Lukan und ergänzt: "Wenn jemand nicht versteht, warum ein anderer mehr verdient, obwohl er dasselbe leistet, dann bekommt er zu hören: Sei nicht neidisch!" Damit wird ein beschämendes Gefühl, das Gefühl der Sünde wieder wach. Der Mensch muss sich schuldig fühlen, ein "grauslicher Charakterfehler" wird ihm unterstellt. Dabei, so Lukan, sei es ob der unterschiedlichen Gratifikationen, die Menschen in einer Gesellschaft bekommen, völlig legitim, Neid zu artikulieren.

"Gleichmacherei" findet der Psychologe nicht nur abstoßend, sondern er bezweifelt vielmehr, dass eine neidlose Gesellschaft entsteht, wenn Unterschiede gänzlich aufgehoben werden. Neid verschwindet auch nicht, wenn der materielle Wohlstand der Neider auf das Niveau reicher Menschen angehoben wird, da er ohnehin immer auf gleicher gesellschaftlicher Ebene stattfindet. "Unterschiede dürfen sein, aber die Kriterien dafür gehören dringend verändert", resümiert Lukan. (Regina Walter, derStandard.at, 18.10.2013)