Wenn in Österreich eine Koalition beschlossen wird, und der Bazar am grünen Tisch beendet ist, schlägt die Stunde der Parteigremien. Sie entscheiden, wie ihre Partei über eine Koalition verhandelt, sie schließlich eingeht – und zu welchem Preis. Doch diejenigen, die darüber urteilen, kennen den Pakt bereits. Sie haben ihn als Teil des Führungskreises mitausverhandelt. Anstatt – wie in Deutschland – die Entscheidung einem Korrektiv aus Parteimitgliedern zu überlassen, bleiben die Vorstände unter sich.

Doch die Parteien müssen sich verändern, sie haben ein Demokratiedefizit. In Deutschland ist es Usus, dass über Koalitionsverhandlungen und Koalitionsverträge auf einem Parteitag abgestimmt wird. Die SPD will nun sogar jedes einzelne Mitglied über einen etwaigen Pakt mit CDU/CSU entscheiden lassen. Die Beteiligung der Mitglieder wäre aber auch für die Parteien in Österreich eine Chance.

Mehr direkte Bürgerdemokratie wurde in den letzten Jahren gefordert. In den Parteien selbst bleibt der Demokratisierungsschub aus. Wenn es parteiintern heikel wird, wird geduckt, anstatt mit den Parteifreunden diskutiert.

Beispiel SPÖ: Die Debatte der vergangenen Wochen über eine Mitgliederbeteiligung zeigt die Unzufriedenheit der sozialdemokratischen Funktionäre. Viele sehen sich an das Jahr 2006 erinnert, als die SPÖ zwar mit Gusenbauer den Kanzler stellte, die unterlegene ÖVP sich aber inhaltlich wie personell durchsetzen konnte. Man solle nicht den Gusi machen, warnte nun Niki Kowall von der SPÖ-Linken Sektion 8 und sammelt – wenn auch schleppend – Unterstützer um sich. Dass das Verhältnis zwischen Parteibasis und Kanzler Faymann gespalten ist, zeigte auch der Parteitag in St. Pölten im vergangenen Jahr. Damals bekam Faymann 83 Prozent der Stimmen, für einen amtierenden Regierungschef ein maues Ergebnis.

Für die Parteispitze bleibt eine breitere Mitgliederbeteiligung dennoch keine Option. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos sagte, man habe immer schon im Vorstand über eine Koalition abgestimmt, so solle es bleiben. Das Argument Weil-es-immer-schon-so-war zeugt meist von großer politischer Erneuerungskraft. Josef Cap ist sogar überzeugt, dass sich in der Frage des Koalitionspaktes die "Überlegenheit eines Delegierungssystems" manifestiert. Parteitag – mit Delegierten – will er trotzdem keinen. Die gesamte Debatte zeigt, dass sich die Sozialdemokraten vor ihren eigenen Genossen mehr fürchten, als vor der ÖVP.

Doch die Entscheidung den Mitgliedern zu überlassen – ob am Parteitag oder per Ur-Abstimmung –könnte die Position der Parteien in den Verhandlungen stärken. Sie muss zu Hause vertreten können, wozu sie am mit grünem  Filz gespannten Verhandlungstisch zustimmten. Mancher Kernwert der Parteien – so reduziert diese im Allgemeinen mittlerweile sein mögen – bleibt dann eher im Koalitionspakt. Die Abschaffung der Studiengebühren zum Beispiel. Oder ein liberaleres Fremdenrecht (beides Positionen, bei denen die SPÖ umgefallen ist).

Die beiden ehemaligen Volksparteien SPÖ und ÖVP kämpfen seit Jahren nicht nur mit einem Wählerschwund, sondern auch mit sinkenden Mitgliederzahlen. Anstatt weiter wie bisher, sollten SPÖ und ÖVP ihre Parteien redemokratisieren. Sie müssen sich öffnen, vor allem gegenüber ihren Mitgliedern und auch gegenüber ihren Wählern. Um die Demokratie zu erneuern, müssen die vermeintlichen Erneuerer bei sich selbst anfangen. Die Parteien brauchen dazu nur ihre Parteifreunde zu fragen. (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 14.10.2013)