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 Großer äußerer Zeitdruck verlagert sich nach innen. Kein Wunder, dass Entspannung zu einem Symptom der Hetze wird, anstatt zu einer Kur.

Foto: apa/dpa Maja Hitij

Nur die Ultraschnellen schaffen den Sprung in die nächste Amplitude, nur die rasend Anpassungsfähigen und Ultraversierten, Mega-Belastbaren sind dabei bei der Zukunftsfähigkeit. Die Träumer, die Zu-lange-Nachdenker, die Zweifler, die Alten und die technisch Ignoranten gehen unter. Ohne randvollen Terminkalender und unerledigbare To-do-Listen ist grob was faul. So oder so ähnlich tönt das Credo. Und die Freizeitindustrie legt dann noch ein Schäuferl nach. Zufrieden seufzen und entspannt grunzen wird da schwer, denn: Wo ist das Plateau, von dem aus klar ist: Es ist genug? Wo doch alles immer und immer weiter flutet, Mails, Facebook, Dranbleiben-Müssen.

Eine Maschine, die nicht mehr innehalten kann - so beschreibt der Philosoph Byung-Chul Han (Die Müdigkeitsgesellschaft) den Organismus vieler Berufstätiger. Der von Burnout oder Depression betroffene Mensch sei ein zeitgenössisches Animal laborans, das sich freiwillig selbst ausbeutet und damit Täter und Opfer zugleich sei. Weil: Mit der Haltung fast unbegrenzter Leistungsbereitschaft gehe die Unfähigkeit einher, den Raubbau an der Gesundheit rechtzeitig wahrzunehmen. Hunderttausende psychisch Erkrankte in Österreich bei deutlich steigender Tendenz unterfüttern diesen großen Blick.

Schnell und effizient entspannen?

Großer äußerer Zeitdruck verlagert sich nach innen, in jede Körperfaser, vor allem Perfektionisten - darunter besonders viele Frauen im Vereinbarkeitsanforderungskonzept - laufen um die Wette "gegen die Zeit" . Kein Wunder, dass Entspannung dann zu Entspannungstricks verkommt und "zeitsparende Entspannungstechnik" nur ein Symptom der Hetze ist statt einer Kur.

Aber: Die Gegenbewegung, die Rückeroberung der Zeit, gewinnt Terrain. Sowohl in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung - etwa durch den Jenaer Sozialtheoretiker Hartmut Rosa oder Zeitforscher wie Karlheinz Geißler (Enthetzt Euch!) - als auch aus der Zivilgesellschaft heraus. Vom Verein zur Verzögerung der Zeit bis zu Langsamkeitsübungen in Spaziergruppen. Überforderung ist nun einmal kein Statussymbol. Zeit zu haben wird aber immer mehr zu einem solchen. Dazu kommt, dass ganze Legionen der Babyboomer, aber auch der nachfolgenden Generation X bereits die schmerzliche Erfahrung gemacht haben, dass zurückgeschaltet wird, wer nicht selbst einmal zurückschaltet.

Pippi Langstrumpf lässt wieder grüßen

Manche Personalverantwortliche merken eine Wende im Wettrennen um Leistungsorden derzeit ganz "brutal". Denn was Ältere mühsam erst wieder lernen müssen, was sich Belegschaften in Unternehmen mit viel Hin und Her gerade erkämpft haben, Errungenschaften wie Elternteilzeit, Pflegekarenz, Vertrauensarbeitszeit, verlangt die junge Generation Y (die nach 1980 Geborenen) ganz selbstverständlich. Und zwar schon im Vorstellungsgespräch. Da wird nicht mehr dem Ochsen ins Maul geschaut, da liegt die Firmenkultur auf dem Prüfstand - und zwar auf dem der Kandidaten. Denn die Karrierewege der Eltern werden nicht mehr ausgetreten. "Wie haben sie uns denn auch erlebt", fragt eine Kollegin aus den Medien, "gehetzt, oft verzweifelt, geschieden und mit dem Handy auf dem Klo." Noch gibt es keine Studien darüber, ob diese neue Generation tatsächlich alles über den Haufen wirft oder sich da und dort vielleicht doch anpasst. Dass sich in den Unternehmen etwas in Richtung Wende tut, darf zumindest als organisationaler Versuch stehen bleiben.

Dass die Absetzung der reinrassigen Workaholics begonnen hat, berichtet etwa auch Freizeitforscher Ulrich Reinhardt (Stiftung für Zukunftsfragen): Zum ersten Mal ist im Vorjahr unter den zehn beliebtesten Freizeitaktivitäten "meinen Gedanken nachhängen" aufgetreten. Fast die Hälfte der Befragten traut sich derzeit schon zu sagen, dass sie gerne faulenzen (das war bis jetzt nicht so und ist sicher nicht Musik in den Ohren der Freizeitindustrie).

24/7-on ist keine Lösung

Da passt es, dass laut einer Imas-Umfrage heuer die Österreicher zu Protokoll geben, dass sie übermäßige Beschleunigung erleben - und das eigentlich nicht wollen. Aber wie nun abbremsen und auf den Weg der Muße einschwenken, ohne aus den Spuren zu rutschen?

Zuerst wollen die äußeren und inneren Hindernisse identifiziert werden. Dann lässt sich planen, nämlich den Rahmen jeweils so zu setzen, dass er Nein und Pausen erlaubt, 24/7-on nicht gestattet. Dann geht es mehr um Haltung denn um sogenannte freie Stunden: Weniger Arbeitsstunden heißt ja noch lange nicht Entschleunigung - den Habitus, etwas tun zu müssen, immer wieder einmal zu entüben und so etwas wie wunschloses Zufriedensein zu spüren, das ist schon ein Stück. Gleichgesinnte helfen in jedem Fall, auch zur Angstbewältigung. Denn sicher: Man könnte etwas versäumen. (Karin Bauer, Karrieren Standards, 2.1.2014)