Bild nicht mehr verfügbar.

"Helft uns" - bei einer Mahnwach in Gedenken an die syrische Revolution hält eine Frau ein Bild in die Kamera.

Foto: AP Photo/Nasser Nasser, File

Der Flüchtlingsstrom aus Syrien reißt nicht ab, mittlerweile wagen fast täglich syrische Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer, um nach Europa zu gelangen. Viele davon lebten bisher in Ägypten. Mohammed al-Dayri - Repräsentant der UNHCR in Ägypten und Leiter des Kairoer Büros des Flüchtlingshilfswerk - sieht im Interview mit derStandard.at den Anstieg an Feindseligkeiten in Ägypten als einen Mitgrund für die steigender Zahl der Menschen, die dieses Risiko auf sich nehmen um das Land am Nil zu verlassen.

derStandard.at: Viele der unmittelbaren Nachbarn Syriens sind mit der großen Anzahl an Flüchtlingen überfordert. Doch auch in Ägypten gibt es dank einer großzügigen Politik unter Ex-Präsident Morsi tausende syrische Flüchtlinge. Wie viele sind es insgesamt?

Al-Dayri: Es haben sich in Ägypten bisher 120.000 Flüchtlinge bei der UNHCR registrieren lassen, doch laut Schätzung der Regierung von vergangener Woche befinden sich insgesamt 300.000 Syrer im Land.

derStandard.at: Welche Rolle hat die UNHCR neben der Registrierung der Flüchtlinge in Ägypten?

Al-Dayri: Jene, die sich registriert haben, bekommen von uns eine gelbe Karte, mit der sie eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate bekommen. Diese Genehmigungen haben uns bis Juli einiges Kopfzerbrechen beschert, da viele davon drohten auszulaufen. Doch das konnte geklärt werden.

Finanziell werden vor allem Familien von uns unterstützt. 60 Prozent der syrischen Flüchtlinge in Ägypten erhalten von uns finanzielle Unterstützung, vor allem in Kairo, Alexandria und Damietta, wo es die größten Flüchtlings-Ansammlungen gibt. Auch das Welternährungsprogramm ist mit Programmen vertreten. Bei der medizinischen Versorgung arbeiten wir derzeit sehr gut mit anderen NGOs zusammen.

derStandard.at: Während der Präsidentschaft von Mohammed Morsi wurden die Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen. Wie hat sich das seit dem Militärputsch verändert?

Al-Dayri: Was sich vor allem geändert hat, ist die Aufnahmerate. Es gibt defacto keine Aufnahmen syrischer Flüchtlinge mehr, außer einigen wenigen, die Visa erhalten haben. Aber alleine der Antrag für ein solches Visa dauert bis zu drei Wochen und seit dem 8. Juli wurden nur mehr wenige Visa für Syrer ausgestellt.

Was sich auch geändert hat, ist, dass es vermehrt Syrer in Ägypten gibt, die Schwierigkeiten mit ihrer Aufenthaltserlaubnis oder deren Verlängerung haben. Einige wurden deswegen bereits ausgewiesen, die ägyptischen Behörden sind sicherlich restriktiver als früher.

derStandard.at: Nicht nur in der Politik, auch in der Bevölkerung gab es einen Meinungsumschwung: Waren die syrischen Flüchtlinge den Ägyptern anfangs willkommen, scheint die Stimmung in letzter Zeit feindseliger geworden zu sein. Warum?

Al-Dayri: Die Syrer wurden in die innenpolitische Debatte gezogen. Sie werden eng mit einer bestimmten politischen Partei in Ägypten in Verbindung gebracht. Es stimmt zwar, dass einige wenige Syrer die geltenden Regelungen verletzt haben und bei Demonstrationen und gewalttätigen Ausschreitungen teilgenommen haben. Doch die überwältigende Mehrheit der Syrer in Ägypten war daran nicht beteiligt und hat sich von den innenpolitischen Debatten nach dem Regierungswechsel distanziert. Das wurde mittlerweile sogar vom ägyptischen Außenminister anerkannt.

Allerdings wurde das leider nicht von einigen ägyptischen TV-Moderatoren verstanden, die seit Juli gegen syrische Flüchtlinge kampagnisieren und den Syrern in Ägypten eine Nähe zu einer gewissen politischen Kraft unterstellen.

derStandard.at: Gibt es auch Gegenstimmen, die der Darstellung widersprechen, syrische Flüchtlinge in Ägypten würden primär die Muslimbrüder unterstützen?

Al-Dayri: Ja, es gibt viele politische Aktivisten, Autoren und Journalisten, die klarstellten, dass die Mehrheit der Syrer in Ägypten nichts mit der innenpolitischen Debatte zu tun hat. Ich glaube diese Botschaft wurde ausgesandt, ist aber in der Hitze der politischen Debatte der vergangenen Monate und den vielen Sicherheitsbedenken untergegangen. Das ist auch eine unserer Bemühungen hier, dass wir klarstellen, dass die Syrer nicht mit dieser bestimmten politischen Kraft assoziiert werden und sie internationalen Standards und der Gastfreundschaft und Großzügigkeit gemäß, die schon zuvor von den Ägyptern gezeigt wurde, behandelt werden.

derStandard.at: Die vergangenen Tage kam es immer wieder zu dramatischen Szenen vor der italienischen Küste, vor der dutzende Menschen, die nach Europa flüchten wollten, ertranken. Die Grundversorgung für syrische Flüchtlinge ist in Ägypten gegeben, warum nehmen sie dann aber dennoch den gefährlich Weg über das Mittelmeer nach Europa in Kauf.

Al-Dayri: Ich glaube dafür gibt es mehrere Gründe. Ein Grund ist sicherlich, dass Länder wie Schweden oder die Niederlande aus Sicht der syrischen Flüchtlinge Anreize bieten nach Europa zu kommen. Solche Anreize sind zum Beispiel, dass man in manchen Ländern leichter Aufenthaltsgenehmigungen bekommt.

Aber einer der Hauptgründe scheint zu sein, dass die Stimmung in Ägypten gegenüber Syrern feindseliger geworden ist. Wir sehen nicht durch Zufall seit August einen Anstieg an Personen, die diese Risiken in Kauf nehmen und versuchen über das Mittelmeer nach Europa zu flüchten. Bisher wurden 724 Personen - Frauen, Männer und Kinder - festgenommen, weil sie versuchten nach Italien zu flüchten. Die meisten davon im Nil-Delta und Alexandria. Wir haben für ihre Freilassung plädiert, nachdem die Anklage wegen illegaler Ausreise gegen sie fallen gelassen wurde. Oft jedoch noch ohne Erfolg.

derStandard.at: Für Syriens unmittelbare Nachbarn, allen voran den Libanon und Jordanien, sind die hunderttausenden Flüchtlinge eine enorm große Belastung - auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Der ägyptischen Wirtschaft geht es auch ohne Flüchtlingskrise schon schlecht. Wie wirkt sich die hohe Anzahl an Flüchtlingen darauf aus?

Al-Dayri: Es ist zwar völlig richtig, dass in Ägypten mit 300.000 Syrer sehr viele Flüchtlinge aufgenommen wurden, doch Jordanien mit einer Einwohnerzahl von 6,5 Millionen hat über eine halbe Million Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Der Libanon, mit nur 4 Millionen Einwohner, noch mehr. Bei Ägypten sprechen wir hingegen von einem 90 Millionen-Einwohner-Land - das heißt, das ökonomische und soziale Gefüge ändert sich durch 300.000 Flüchtlinge nicht dramatisch. Trotzdem setzten unsere Hilfsprogramme natürlich auch dort an und versuchen, die Koexistenz zwischen Flüchtlingen und Ägyptern zu fördern. (Stefan Binder, derStandard.at, 15.10.2013)