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Einer der geretteten Flüchtlinge eines Bootes, das vorige Woche vor Lampedusa in Seenot geriet. Italien will Marine und Luftwaffe im Mittelmeer zur Überwachung verdreifachen.

Foto: APA/Concetta Rizzo

Was späte Badegäste in Lampedusa beglückt, wird für die erschöpfte Küstenwache zunehmend zum Albtraum: spiegelglattes Meer und Temperaturen von 28 Grad. Jeder auf der Insel weiß, dass der endlos scheinende Flüchtlingsstrom erst mit den Herbststürmen verebbt. Die aber sind nicht in Sicht. Während es in den Alpen schneit, herrschen im südlichen Mittelmeer hochsommerliche Bedingungen.

Am Donnerstag soll lediglich die Windstärke zunehmen. Himmel und Hölle liegen in Lampedusa stets eng beisammen, wie italienische Fernsehbilder zeigen: im Glücksgefühl der aus dem Meer geretteten Somalierin, die ihr Baby an sich drückt und im verzweifelten Schluchzen der Eritreerin, die sich weinend an den Sarg ihres Bruders klammert, den ein Kran ins Militärschiff hievt.

Dutzende Verwandte der Opfer stehen mit Fotos am Hafen, drängen im Behördenchaos auf eine Freigabe der Toten. Sie kommen aus Kanada, England, Norwegen, Schweden, Deutschland und anderen Ländern. "Ich habe mit meinem Bruder noch vor der Abfahrt des Bootes in Libyen telefoniert" , erzählt der in Oslo als Krankenpfleger arbeitende Eritreer Weldezghi. "Ich möchte ihn zu Hause bestatten."

Manchmal geschieht inmitten des Chaos ein kleines Wunder: Fast unbemerkt landete am Montag im Morgengrauen ein Boot mit 137 Flüchtlingen direkt im Hafen der Insel - kein Radar hatte das kleine Schiff registriert, das unvermittelt aus dem Dunkel tauchte. In der Nacht hatten Einheiten der Marine ein Boot mit 160 Flüchtlingen nach Sizilien eskortiert, 250 syrische Insassen eines alten Fischkutters wurden nach Kalabrien gebracht. Katastrophen wie jene mit 368 Toten vor Lampedusa will Italien ab Dienstag mit der "Operation sicheres Meer" verhindern: mit Schiffen, Flugzeugen, Hubschraubern, Drohnen und Satelliten soll das südliche Mittelmeer nahezu nahtlos überwacht werden.

Libyen miteinbeziehen

Experten des Innenministeriums besuchten auch Tripolis, um Libyen in die Überwachung einzubeziehen. Sein Land sei dazu bereit, versicherte Premier Ali Zeidan am Wochenende dem maltesischen Premier Joseph Muscat. Für eine wirksame Kontrolle müsse die EU mit Libyen vor allem bei der Satellitenaufklärung zusammenarbeiten.

Europa müsse "endlich anerkennen, dass es ein Einwanderungskontinent ist" und brauche dringend eine Reform der Einwanderungsgesetze, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Spiegel online. Er forderte die Einführung eines Verteilungsschlüssels, der die Aufnahme von Einwandern in den EU-Staaten regelt.

Indessen haben sich in Italien 230 syrische Familien aus einem Lager in Catania abgesetzt. Sie waren vor fünf Tagen von einem Frachter aus dem Meer gefischt und in die sizilianische Hafenstadt gebracht worden. Es wird vermutet, dass sie mit dem Zug nach Norden unterwegs sind.

Die Syrer führen die Asylantenstatistik mit 25.000 Gesuchen an. Mit bisher 35.000 Flüchtlingen hat sich die Zahl der in Italien gelandeten Migranten heuer verdreifacht. Rund zehnmal so viele kommen freilich jedes Jahr, völlig ohne Aufsehen zu erregen, nach Italien: Sie reisen mit einem befristeten Touristenvisum ein und bleiben dann einfach im Land. (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD, 15.10.2013)