Hamburg - Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist die häufigste Krebserkrankung bei Kindern. Laut Angaben des Forschungsinstituts Kinderkrebs-Zentrum Hamburg konnte aber durch die Entwicklung moderner Chemotherapien die Überlebensrate der Erkrankten seit den 1960er Jahren von fünf auf 80 Prozent gesteigert werden. Allerdings leiden viele Patienten an akuten Nebenwirkungen oder gravierenden Spätfolgen - etwa sekundäre Tumore.

"Die akute lymphatische Leukämie ist nicht, wie bisher angenommen, ausschließlich eine genetische Erkrankung. Gen-Mutationen sind nicht alleine die Ursache, damit aus einer gesunden Zelle eine Leukämie wird, vielmehr spielen auch epigenetische Veränderungen - also chemische Veränderungen an der Gensequenz und seiner 'Verpackung' - eine wesentliche Rolle", erklärt Martin Horstmann, wissenschaftlicher Direktor der Hamburger Forschungseinrichtung.

Der Wissenschaftler und sein Forschungsteam konnten nun in einer Studie nachweisen, dass nicht das Gen fehlerhaft ist, "sondern nur seine Markierung verloren hat, fälschlicherweise abgelesen wird und so zur Entstehung der akuten lymphatischen Leukämie bei Kindern beiträgt. Im Zentrum des von uns identifizierten Mechanismus steht das so genannte ZNF423-Gen. Denn Patienten mit einem hohen ZNF423-Spiegel neigen nach einer zunächst erfolgreichen Chemotherapie häufiger zu Rückfällen", so Horstmann.

Molekularer Mechanismus

Der Grund dafür liegt in den Besonderheiten des identifizierten molekularen Mechanismus: Grundsätzlich ist bei akuten lymphatischen Leukämien die Reifung bestimmter weißer Blutkörperchen - der B-Zellen oder B-Lymphozyten - gestört. Durch den Verlust der Selbstkontrolle vermehren sich die unreifen Vorläuferzellen ungebremst und überschwemmen schließlich das Blut. Der Ablauf dieser Zellreifung wird durch spezielle Proteine - auch Transkriptionsfaktoren genannt - reguliert. 

"Die DNA des ZNF423 Gens ist in Leukämiezellen weniger methyliert", erklärt Lena Harder - die Erstautorin der Studie. Dadurch liege das Gen quasi offen, ein Transkriptionsfaktor könne andocken und das ZNF423-Gen aktivieren. Das dadurch übermäßig produzierte Protein ZNF423 blockiert schließlich den Reifungsfaktor EBF1. " Das bremst wiederum die Reifung der B-Zellen aus", so Harder.

Martin Horstmann zufolge könnten die Ergebnisse ein wichtiger Schlüssel für eine sogenannte Differenzierungstherapie sein: "Wir wollen versuchen, ZNF423 in Leukämien gezielt zu hemmen, um die blockierte Zellreifung möglicherweise zu lösen und die Leukämiezellen zum Absterben zu zwingen", hofft der Mediziner. (red, derStandard.at, 16.10.2013)