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Armut wird von den Eltern weitergegeben. Die Volkshilfe fordert die Politik auf, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

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Aus einer neu veröffentlichten Studie der Sozialökonomischen Forschungsstelle und der Volkshilfe Österreich geht hervor, dass 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren in Österreich armutsgefährdet sind. Das entspricht 234.000 Kindern. Laut UNICEF-Studie "Measuring child poverty" rangiert Österreich sogar nur auf Platz 18 von 29 Ländern.

Betrachtet man die Jahre seit 2005, lässt sich weder ein deutlicher Trend zur Verschlechterung noch ein Trend zur Verbesserung erkennen. Den deutlich größten Anteil armutsgefährdeter Kinder in Österreich gibt es in der Bundeshauptstadt Wien.

Dem Geschäftsführer der Volkshilfe, Erich Fenninger, ist es ein zentrales Anliegen, die Kinder in den Fokus des Themas Armut zu rücken. Bisher wurden diese sowohl in der Forschung als auch in der Politik nur als Armutsrisiken gesehen, aber nicht als eigenständige Betroffene. "Es ist wichtig, nicht nur nach der materiellen Situation des Haushaltes zu fragen, sondern speziell nach den Bedürfnissen und Problemen des Kindes", so Fenninger.

Armut wird vererbt

Das Einkommen der Eltern ist naturgemäß ein wesentlicher Faktor für die Armutsgefährdung. Wenn in einer Familie nur ein sehr geringes Einkommen bis gar keines vorhanden ist, liegt die Quote der armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen bei 71 Prozent. Weiters ist die Zusammensetzung des Haushalts ausschlaggebend. Haushalte mit Kindern weisen in Österreich eine höhere Armutsgefährdungsquote auf als Haushalte ohne Kinder.

Bei drei Kindern im Haushalt liegt das Risiko bei 26 Prozent. Besonders gefährdet sind auch Ein-Eltern-Haushalte. Hier liegt die Quote bei 24 Prozent. Der familiäre Herkunftshintergrund spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Während elf Prozent der Kinder und Jugendlichen mit österreichischer Staatsbürgerschaft armutsgefährdet sind, liegt der Anteil mit 39 Prozent unter Kindern und jungen Menschen anderer Staatsbürgerschaft deutlich höher.

Vier Formen der Armut

Kinderarmut ist ein sehr komplexes und mehrdimensionales Phänomen. Laut Fenninger sind arme Kinder vor allem in vier Kernbereichen benachteiligt: in Materiellem, in der kognitiven Entwicklung, Gesundheitlichem und bei der Entwicklung von sozialen Kompetenzen. Insbesondere der gesundheitliche Aspekt sei dabei zu betonen. Es gehe hierbei nicht nur um häufiger auftretende physische Krankheiten wie Übergewicht, Zahnprobleme und Infektionskrankheiten, auch die Belastung auf die Psyche sei enorm. Oft färben Depressionen der Eltern auf den gesundheitlichen Zustand des Kindes ab.

"Die Kinder merken, dass sie anders sind als ihre Mitschüler. Vielen fehlt es oft schon an einem Kinderbett, einem Schreibtisch oder einem vernünftigen Licht im Zimmer. Das wirkt sich auf die Psyche aus. Viele reagieren mit Rückzug und Isolation, andere mit Aggressionen", meint Fenninger. Das Wichtigste sei, sich Zeit zu nehmen, um den Kindern zuzuhören und auf ihre Belange einzugehen.

Auch Bildungsmöglichkeiten eingeschränkt

Die Studie beinhaltet zudem Praxiseinblicke aus den Erfahrungen von sechs Sozialarbeitern aus Jugendämtern. Sie bemängeln darin Zugangshürden zur bedarfsorientierten Mindestsicherung. Gefordert wird eine Minimierung der Barrieren und mehr professionelle Unterstützung. Einen allgemein schlechteren Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen führen sie auf den Umstand zurück, dass bei armutsgefährdeten Familien durch den Stress, den die finanzielle Überforderung bedeutet, wichtige Aspekte der Lebensführung in den Hintergrund treten.

Die Sozialarbeiter geben des Weiteren an, dass der Bildungsweg der Kinder maßgeblich vom Bildungsstatus der Eltern abhängt. Bei insgesamt schlechterer Bildung wird es immer schwieriger, einen Weg aus der Armut zu finden. Hinzu kommt, dass meist zu Hause gelernt wird. Sind hier die Rahmenbedingungen nicht ideal (z. B. kein ruhiger Platz zum Lernen), verschlechtern sich die Bildungschancen. Auch im Sozialleben werden finanziell schwache Kinder von anderen ausgeschlossen oder schließen sich zum Teil selbst aus, da sie sich zum Beispiel für ihre Wohnverhältnisse schämen.

Weiterhin tabu

Seit der Finanzkrise 2008 ist das Thema Armut mehr in die Öffentlichkeit gerückt, allerdings wird es in der Gesellschaft immer noch stark tabuisiert. Dies macht es für die Betroffenen natürlich zusätzlich schwierig, aus dem Teufelskreis der Armut auszubrechen. Fenninger betont: "Die armen Kinder von heute sind die armen Erwachsenen von morgen, und die armen Erwachsenen von heute sind die armen Kinder von gestern."

Österreich darf kein Kind zurücklassen

Eine zentrale Forderung der Volkshilfe an die Politik ist es, sich verstärkt auf Kinderarmutsbekämpfung zu konzentrieren. Ein Lösungsvorschlag ist, die betroffenen Familien in schulischen Angelegenheiten - sei es finanziell oder mit Lernhilfe - zu unterstützen. Laut Fenninger ist der Schulanfang jedes Jahr für arme Familien eine massive Belastung, die ohne Hilfe kaum zu überwältigen ist. Außerdem soll die Forschungsarbeit und die Sozialarbeit ausgebreitet werden.

Fenningers Forderung an die Bevölkerung lautet, der Tendenz zur kinderfeindlichen Gesellschaft entgegenzuwirken. Der Trend hin zu immer mehr kinderfreien Restaurants oder Hotels sei sehr bedenklich. "Jeder Einzelne kann wachsam hinschauen, nachfragen und respektvoll mit Kindern, die von Armut betroffen sind, umgehen." (Ramona Hampp, derStandard.at, 16.10.2013)