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Bei der Wollust steht die fleischliche Begierde im Mittelpunkt.

Selbstbefriedigung kann tödlich enden, Sex ist schmutzig, Geschlechtsverkehr hat rechtmäßig nur in der Ehe stattzufinden und soll der Zeugung von Kindern dienen – so die Eckpunkte der traditionellen katholischen Sexualmoral. Lust wird als List des Teufels verdammt. Leben wir sie frei aus, treibt uns das in den seelischen und körperlichen Ruin.

Fleischliche Begierde, die Lust auf das rein Körperliche, Sex ohne Liebe: Bei der Wollust steht vor allem der Trieb im Mittelpunkt. Der Körper übernimmt das Kommando, drängt den Geist zurück.

In der katholischen Sexualmoral muss die Begierde deswegen unterdrückt werden. Der Bekämpfung der Todsünde Wollust hat die Kirche über Jahrhunderte hinweg viel Aufmerksamkeit gewidmet: Um mitbestimmen zu können, was in den Schlafzimmern der Menschen passiert, haben Geistliche Schreckensszenarien über die Folgen der Wollust verbreitet: So bediente sich die Kirche vor allem im 18. und 19. Jahrhundert der aufkeimenden Aufregung über die angeblich gesundheitsgefährdende Wirkung von Masturbation.

Geschlechtskrankheiten auf dem Vormarsch

Wie Lust und Sexualität heute gelebt wird, hat mit kirchlichen Moralvorstellungen nicht mehr viel gemeinsam. Die sexuelle Revolution vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts befreite von allzu strengen sittlichen Normen. Pornografie und Sexspielzeug sind leicht zugänglich geworden, Masturbation und Partnertausch längst kein Tabu mehr. In einem Punkt scheint sich die kirchliche Prophezeiung der Folgen des sündhaften Lebensstils allerdings zu bewahrheiten – dann nämlich, wenn es um Geschlechtskrankheiten geht.

Vaginal, oral oder anal: durch Sexualkontakte können einige Krankheiten übertragen werden. Vor allem Erkrankungen wie die Syphilis und die Gonorrhoe sind in Österreich wieder auf dem Vormarsch. War Syphilis Mitte der 1990er-Jahre eher selten - 1993 gab es 124 gemeldete Fälle in Österreich -, so wurden 2011 bereits 450 Krankheitsfälle registriert.

Problemfall Resistenz

Antibiotikaresistenzen erschweren zunehmend die Behandlung bakterieller Erkrankungen. Im Falle der Gonorrhoe sind international bereits Fälle nicht behandelbarer Infektionen bekannt.

Experten sind sich einig: Vor allem die schwindende Angst vor einer Infektion mit dem HI-Virus hat zum Anstieg sexuell übertragbarer Erkrankungen geführt, wie Spezialisten beim diesjährigen Weltkongresses für sexuell übertragbare Krankheiten in Wien erklärten.

Zwang zur Lust

Nicht nur der Leib hat mit den Folgen der Wollust zu kämpfen, auch die Seele kann mitunter leiden. Jahrhundertelang vermittelte Moralvorstellungen sind in den Köpfen vieler Menschen immer noch präsent: "Schuldgefühle in Bezug auf das Thema Sexualität sind nach wie vor aktuell", sagt Christina Raviola, klinische Psychologin und Vorsitzende des Instituts für Klinische Sexualpsychologie und Verhaltenstherapie. Scham, Angst und Verunsicherung sind Gefühle, die manche ihrer Patienten mit Sexualität verbinden. Vor allem in den Köpfen älterer oder religiöser Menschen ist Sexualität nach wie vor eher Mittel zum Zweck der Fortpflanzung. Der Spaßfaktor steht hier nicht im Vordergrund.

Diejenigen, die Wollust nicht mehr als Sünde verstehen, sind durch die permanente Präsenz des Themas unter Druck gesetzt. "Sexualität muss ständig verfügbar sein, heute herrscht ein richtiger Zwang zur Lust", erzählt Sexual- und Paarpsychologin Nicole Kienzl aus ihrem Berufsalltag. Ihre Patienten sind oft verunsichert, wie "perfekter Sex" auszusehen hat und wie oft er stattfinden sollte. Ähnliche Erfahrung hat Raviola gemacht: "Viele glauben, es ist nicht okay, wenn sie gewisse Dinge nicht mögen und fühlen sich verpflichtet, alle erdenklichen Sexpraktiken abzuarbeiten."

Fehlendes Begehren

Nicht jeder ist diesen hohen Leistungsanforderungen gewachsen und so leiden immer mehr Menschen unter Libidoverlust. Neben körperlichen Ursachen können auch emotionale Belastungen der Grund für fehlendes sexuelles Verlangen sein. Oder aber die Lustlosigkeit ist ein unbewusster Abwehrmechanismus: "Aus Ekel vor gewissen, vom Partner gewünschten sexuellen Praktiken werden sexuelle Handlungen dann lieber ganz vermieden", sagt Raviola.  

Fehlendes Begehren führt die klinische Psychologin auch auf die Emanzipation der Frauen zurück: In Bereich der Sexualität und in Beziehungen übernehmen Frauen heute einen aktiven Part, haben oft konkrete Erwartungen und sagen nein, wenn ihnen etwas nicht gefällt. "Früher hingegen haben Frauen in der Ehe sexuelle Handlungen oft erduldet, es wurden keine Leistungsanforderungen an die Männer gestellt", sagt Raviola.

Sex als Medizin

Geschlechtskrankheiten, Impotenz und Libidoverlust zum Trotz, wird ein Aspekt gerne übersehen: Sex ist gesund. Er lindert Kopfschmerzen, stärkt das Immunsystem, verringert das Osteoporose-Risiko und entspannt.

"Befriedigender Sex ist für die Gesundheit enorm wichtig – und natürlich auch das Empfinden von Lust", sagt Raviola. Die (Wol-)Lust an sich sei wichtiger Bestandteil des Sexuallebens. Sexualtherpeutin Kienzl ergänzt: "Es geht nicht um die Quantität des Geschlechtsverkehrs, wichtig ist die Qualität". (Sarah Dyduch, derStandard.at, 25.10.2013)