Foto: Sascha Aumüller

Man kennt das ja: Erst zu Hause werden die in blinder Kaufwut erstandenen Souvenirs genauer unter die Lupe genommen. Findet sich auf der Unterseite des "herausragenden Exemplars usbekischer Handwerkskunst" doch noch irgendwo der Aufdruck "Made in China"? Mit der Schmuckschatulle, die man der sympathischen Lady mit den vielen Goldzähnen abgekauft hat, scheint jedenfalls alles in Ordnung zu sein: Um die Echtheit des Blattgoldes zu garantieren, mit dem die Miniaturmalereien auf dem Deckel aufgepeppt wurden, hat sie ein Zetterl als Zertifikat hineingelegt. Doch dann fällt der Blick auf eine der Ecken des Kästchens.

Auf einer Seite ist der Lack bereits gebrochen. Darunter tritt ein Trägermaterial zutage, mit dem man das letzte Mal wohl als Volksschüler gebastelt hat: Pappmaché. Wer sich nun darüber ärgert, dass hier ein billiges Recyclingmaterial die Last von teurem Blattgold zu tragen hat, sollte das ganz schnell wieder lassen. Man hält nämlich die Essenz dessen in Händen, was die sagenhafte Architektur Samarkands ausmacht.

Im 15. Jahrhundert begannen die Timuriden, immer noch höhere Kuppeln mit immer noch weniger tragenden Elementen in den Prunkbauten von Samarkand zu konstruieren. Die kunstvollen Ornamente unter der Decke und an Toren mussten dafür nun deutlich weniger Gewicht aufweisen. Was lag also näher, als Pappmaché einzusetzen.

Seit dem 8. Jahrhundert belieferte Samarkand praktisch das gesamte islamische Einflussgebiet mit Papier. Als Nebenprodukt der Produktion entstand Pappmaché oder genauer gesagt Papiermaché, das unter der Zugabe von Kalk zu Figuren, Behältern und eben ornamentalen Wandelementen verarbeitet wurde. Das Problem einer zu geringen Haltbarkeit ist dabei zumindest in Samarkand keines: Die Luftfeuchtigkeit bleibt ganzjährig stabil und relativ gering.

Vergoldetes und bemaltes Pappmaché, wie es in der Stadt überall zu sehen ist, verbreitete sich mit den Mogulen aus dem heutigen Usbekistan rasch auch in Persien und Indien. Doch rund 200 Jahre lang schien diese Technik in ihrem Entstehungsland in Vergessenheit geraten zu sein. Erst die Sowjets, die in Usbekistan die Restaurierung historischer Gebäude in Angriff nahmen, bedienten sich wieder des lokalen Know-hows. Mit relativ geringem Kostenaufwand wurden die alten Ornamente durch neues Pappmaché ergänzt - also tatsächlich in den Originalzustand versetzt. (Sascha Aumüller, DER STANDARD, Rondo, 18.10.2013)