Kostiantyn Yelisieiew.

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STANDARD: Wird das fertig verhandelte Assoziierungs- und Freihandelsabkommen der EU mit der Ukraine beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft am 28./29. November in Vilnius unterzeichnet?

Yelisieiew: Das müssen Sie die EU-Mitgliedstaaten fragen, die darüber noch diskutieren. Die Ukraine ist jedenfalls entschlossen, diesen strategischen, bahnbrechenden Vertrag zu unterzeichnen. Für uns ist das eine Roadmap für Reformen, die das Land näher an die EU heranbringen. Uns geht es dabei um Werte: Rechtsstaatlichkeit, Grundfreiheiten, Respektierung der Menschenrechte etc. Herzstück des Abkommens ist eine umfassende Freihandelszone, die uns sehr dabei helfen wird, überfällige Reformen durchzuführen.

STANDARD: Bedingung der EU für die Unterzeichnung ist die Freilassung der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko.

Yelisieiew: Der Fall Timoschenko betrifft die sogenannte selektive Justiz, deren Wurzeln in Sowjetzeiten liegen. Deshalb wollen wir dieses Problem umfassend lösen. Das Parlament hat in den vergangenen Monaten Reformen verabschiedet, die teilweise seit 1995 auf der Agenda standen, darunter eine neue Strafprozessordnung und Bestimmungen gegen Folter. In der Pipeline stehen ein wirklich revolutionäres Gesetz über den Generalstaatsanwalt und eine Polizeireform.

STANDARD: Das bringt aber keine Lösung im konkreten Fall.

Yelisieiew: Wir wollen die Bedingungen für die Unterzeichnung des Abkommens nicht personalisieren. Es ist nicht fair, 46 Millionen Ukrainer als Geiseln zu nehmen wegen eines - ja, symbolischen, delikaten, aber spezifischen Falles. Das ist eine Episode, und sie wird geregelt werden.

STANDARD: Wird Julia Timoschenko also vor dem Gipfel freigelassen?

Yelisieiew: Wir versuchen unser Bestes, aber ich will nicht in Details gehen (siehe Artikel unten). Gleichzeitig erinnere ich daran, dass Julia Timoschenko selbst ausdrücklich für die Unterzeichnung des Abkommens ist, ungeachtet ihrer eigenen Situation.

STANDARD: Bedeutet das Abkommen eine unwiderrufliche Westorientierung der Ukraine?

Yelisieiew: Unser Kurs der europäischen Integration wird damit unumkehrbar, es ist ein Point of no Return. Und wir machen diese Reformen nicht, um Brüssel zu gefallen, sondern zum Wohl unseres eigenen Volkes.

STANDARD: Moskau übt starken Druck auf Kiew aus, das EU-Abkommen nicht zu unterzeichnen und stattdessen der Zollunion von Russland, Weißrussland und Kasachstan beizutreten, der Vorstufe zur geplanten Eurasischen Union.

Yelisieiew: Russland ist strategischer Partner und größter Handelspartner der Ukraine. Wir sind sehr an gutnachbarlichen Beziehungen interessiert. Das EU-Abkommen wird auch sehr vorteilhaft für russische Unternehmer und Investoren sein. Was die Zollunion betrifft, sind wir für Kooperation, nicht Integration. Wir können nicht auf beiden Seiten stehen. Wir haben uns für die europäische Integration entschieden.

STANDARD: Das schließt also einen Beitritt zur Eurasischen Union aus.

Yelisieiew: Es war die Wahl des ukrainischen Volkes. Eine natürliche Wahl: Wir sind Europäer, geografisch, politisch und kulturell. Mit der Unterzeichnung des Abkommens wird die Ukraine endlich nicht mehr als Land des postsowjetischen Raumes betrachtet werden, was ich als erniedrigend empfinde. Unter dem strategischen und zivilisatorischen Gesichtspunkt ist dieses Abkommen für uns so bedeutend wie der Fall der Berliner Mauer für Deutschland.

STANDARD: Offenbar wird das nicht von allen EU-Ländern so gesehen.

Yelisieiew: Jenen, die mit der Unterschrift zögern, stelle ich drei einfache Fragen: Seid ihr an der Stärkung der Unabhängigkeit einer modernen europäischen Ukraine interessiert? Seid ihr an mehr Sicherheit und Stabilität in der Nachbarschaft interessiert? Wollt ihr eine berechenbare, stabile Russische Föderation, wo Grundwerte respektiert werden und sich das Investitionsklima bessert? Wenn ihr alle drei Fragen mit Ja beantwortet, dann müssen wir diesen Vertrag unterzeichnen. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 18.10.2013)