Es muss eine Zeit gegeben haben, da man in der Hotellobby auf Nachrichten warten konnte, das Whiskeyglas in einer Hand, und durch die Drehtüren kamen die Zuträger und gingen wieder, während sich der Notizblock wie von selbst füllte.
"In den großen internationalen Hotels am Taksim treffen sich Journalisten, im Sommer auch gern im Carlton in Yeniköy am Bosporus, weil man dort schwimmen kann", steht in einem DuMont-Istanbulführer aus dem Jahr 1978. "Theaterleute, Künstler und natürlich auch Kollegen von der Presse absolvieren gern folgendes Programm: am späten Nachmittag zum Drink ins 'Papirüs', dann essen bei 'Yakub 2' und zu später Stunde weiter ins 'Pub Günay'".
Das Papirüs soll es noch geben, und Schwimmen im Bosporus ist wohl auch möglich, obschon aus gesundheitlichen Gründen nicht ratsam, aber die Hotellobby hat ihren Zweck als Empfangszimmer des entspannten Korrespondenten zweifellos eingebüßt. Sie ist Ersatzbüro geworden, ein Notbehelf und mehr oder minder elegante Dauereinrichtung, weil der Weg zurück ins Bürozimmer 1000 Kilometer weit ist oder zur anderen Bosporusseite führt, was wegen des Verkehrs in Istanbul nicht selten auf dasselbe hinausläuft.
Die Steckdose ist das Wichtigste, alles andere kommt danach: das geeignete Polster, auf dem man die nächsten zwei, drei Stunden verbringt; das Hotelpersonal, das den seltsamen Gast beäugt und das Password für die Internetverbindung herausrücken muss. Dann kann nichts mehr schiefgehen - oder fast nichts mehr.
Seit gepostet und getwittert wird und Nachrichten schon alt sind, bevor sie überhaupt gedruckt werden - seit also vielleicht 15 Jahren -, muss sich auch der Korrespondent fleißig mitdrehen. Von den gymnastischen Verrenkungen, die dabei mitunter passieren, sollte der Leser besser nichts wissen. Vom Kommentar, der im Taxi zum Flughafen in Jakarta auf dem Laptop entstanden ist und vor allem auch abgeschickt wurde; oder dem Bericht über eine unerwartete Entscheidung des türkischen Parlaments, die von einem Hotelzimmer in Eriwan aus bewertet sein wollte.
Das "Guckerl"
Die Computer, die man durch Lobbys und Flughafenkontrollen schleppt, sind über die Jahre kleiner geworden, und mit ihnen, vom Laptop zum Netbook, auch die Monitore, auf denen nachmittags die leere Zeitungsseite drohend erscheint und gefüllt werden muss. "Ein Guckerl" haben sie in der IT-Abteilung der Redaktion über das stolz vorgeführte Netbook gewitzelt. Aber das "Guckerl" macht's immer noch im dritten Jahr in der Türkei und ist robuster als die Tablets, mit denen angelsächsische Kollegen nun zu den Presseterminen im Istanbuler Conrad oder im Swissôtel auftauchen.
Eine Hotellobby am Bosporus ist natürlich noch Luxus. In der anatolischen Provinz, in Hatay, weit im Süden, oder in Amasya, nahe am Schwarzen Meer, mag das Dekor bisweilen so schräg sein, der Musiksender auf dem Fernsehschirm so lärmend oder die anderen Gäste auf den Sofas so kontaktfreudig, dass die Konzentration beim Schreiben arg leidet.
20 Lewa für einen Tisch
Aber es gibt ja Alternativen. Professionelle wie das Beta-House in Sofia, wo man in einer Atelierhalle für 20 Lewa - umgerechnet zehn Euro - einen Schreibtisch für einen Tag bekommt. Und die Cafés natürlich, vorzugsweise die großen, in denen man leicht untertauchen und dem Schreibwerk nachgehen kann, wie das Zonar's in Athen, gleich um die Ecke von den Demonstrationen am Syntagma-Platz. Und dann sind da noch die Freunde, die NGOs in halbleeren Wohnungen managen, in Diyarbakir oder in Tiflis, und immer einen Tisch frei haben, wenn der Korrespondent auftaucht.
Die Hotellobby bleibt trotzdem, dieses zugige, viel zu groß geratene Wohnzimmer. Das Aufenthaltsrecht wird mit Unmengen von türkischem Kaffee und abenteuerlich teuren Sandwiches erkauft. Mit schnellem Schritt eilt der Redaktionsschluss herbei, und noch bevor der Muezzin zum Abendgebet ruft, ist der Text fertig, und man geht aus der Drehtür hinaus in den lauen Abend, vielleicht erst einmal ins Papirüs zur Beruhigung. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, 19.10.2013)