"Nutzer wollen stärker Einfluss nehmen": Markus Spillmann über digitale Userwünsche. 

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Schwerpunktausgabe
25 Jahre STANDARD

STANDARD: Was war denn Ihr erster Gedanke, als Sie diesen Sommer hörten: Der Boss des Online-Handelsriesen Amazon kauft die US-Zeitungsikone "Washington Post"?

Spillmann: Einerseits war ich ein bisschen wehmütig: Hier wird wieder Tradition verkauft. Anderseits nicht so überraschend: Verleger und Verlagshäuser lösen sich von Print und renommierten Printtiteln. Zum Dritten war ich gespannt: Wie geht das unter neuen Besitzverhältnissen weiter?

STANDARD: Verabschiedet sich die Medienbranche von Print?

Spillmann: Ich würde nicht von einem globalen Trend sprechen. Aber besonders gefordert sind Unternehmen, wo es nicht viel mehr als das Printprodukt und die Kraft der Printmarke gibt, wo eine Digitalisierungsstrategie fehlt oder sich nicht umsetzen lässt. Die könnten sich fragen: Wie lange bekommen wir noch einen vernünftigen Erlös für unseren Titel? Wenn man vor allem in Print, vor allem im Tageszeitungsgeschäft tätig ist, dann hat man ein Problem. Punkt.

STANDARD: Wir sprechen für die 25-Jahr-Ausgabe des Standard. Die "Neue Zürcher Zeitung" hat nicht mehr weit zu ihrer 250-Jahr-Ausgabe 2030. Haben Sie sich schon überlegt, wie Sie die begehen?

Spillmann: Nein, ich mache mir keine Gedanken über die nächsten fünf Jahre. Ich bin momentan eher kurz getaktet: Was ist im nächsten oder übernächsten Jahr zu tun? Wir arbeiten in einer Branche, die sehr fluide geworden ist. Sich so weit in die Zukunft zu bewegen, sich vorzunehmen: Ich will das selber noch als Chefredakteur miterleben und gestalten - das fände ich vermessen und momentan nicht so sinnvoll. Aber ich bin sehr überzeugt davon, dass es die NZZ dann noch geben wird.

STANDARD: In gedruckter Form?

Spillmann: Ich weigere mich, diese Frage zu beantworten - weil ich sie für nicht mehr relevant halte.

STANDARD: Sondern?

Spillmann: Entscheidender ist: Gelingt es uns, diese Form publizistischer Leistung, wie wir sie in der gedruckten NZZ geprägt haben, diese Qualität, diese Internationalität im digitalen Kosmos weiterzuführen und weiter erfolgreich als privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen auf dem Markt zu operieren? Punkt. Wenn es dazu eine Printausgabe gibt, ist es schön. Wenn es sie nicht mehr gibt, dann ist es nicht relevant - sofern es uns gelingt, das in anderer Form gleich oder besser zu machen. Es geht um die publizistische Leistung, nicht um den Träger. Der Träger verändert sich. Wir wissen alle nicht, was in zehn oder zwanzig Jahren ist. Wir hätten uns vor zehn Jahren nie vorstellen können, dass die Welt heute so aussieht. Darum ist es müßig, darüber nachzudenken, ob es noch eine gedruckte Zeitung gibt oder nicht. Denken wir doch darüber nach, wie wir guten Journalismus in Zukunft sicherstellen?

STANDARD: Womit wir bei der Frage wären, wie sich der finanzieren lässt. Bei Zeitungen schafften das bisher Verkaufs- und Abopreis, Webportale vor allem mit Werbung, immer mehr mit Bezahlinhalten.

Spillmann: Das ist die 1000-Dollar-Frage. Wir Verlagshäuser tasten uns schrittweise an diese neue Welt heran. Das goldene Ei hat noch niemand gefunden. Wenn man anders ist, besser, näher am Kundenbedürfnis operiert, kann man auch eher etwas dafür verlangen. Ob das am Ende reicht für das, was wir herstellen wollen, weiß ich auch nicht. Es muss reichen. Sonst werden wir vom Markt gespült. Wir stehen am Anfang eines noch langen Weges. Und es gibt ermutigende Signale.

STANDARD: Die "NZZ" verlangt seit einigen Monaten Geld für digitale Inhalte. Wie viele zahlen, und wie viel Geld bringt das?

Spillmann: Ich schaue derzeit noch nicht so genau auf diese Zahlen. Ich kann sagen: Paywall funktioniert bei uns grundsätzlich. Es ist nicht der Reißer. Aber momentan scheint mir entscheidender: Sie schadet uns auch nicht.

STANDARD: Sie haben online zu Vorschlägen für die "NZZ" aufgerufen. Was haben Sie gelernt?

Spillmann: Viele Ideen laufen auf Individualisierung hinaus. Nutzer wollen sehr viel stärker Einfluss nehmen auf die Angebote und ihre Konfiguration. Folgt man diesen Anregungen, muss das Neue hoch adaptiv sein auf das individuelle Bedürfnis. Print ist im Prinzip "take it or leave it".

STANDARD: Wie wirken die vielen digitalen Kanäle und Inhalte zurück auf die Zeitung?

Spillmann: Die Zeitung wird nicht mehr die Chronistenrolle spielen können, sie wird viel hintergründiger und analytischer, vertiefen und haptisch veredeln. In Print alles zu bieten, was wir online bieten, geht nicht mehr. Die Zeitung könnte ein ruhender Pol, ein Anker werden für Menschen, die in diesem Informationswust eine Kuration haben wollen, was die Profis als wirklich relevant betrachten. Das kann man alles auch digital machen, und das tun wir auch. Das Schöne an einer Zeitung ist, dass sie einen Anfang und ein Ende hat. Danach muss man die Gewissheit haben, man hat sich Zeit für das Wichtigste genommen. (Harald Fidler, DER STANDARD, 19.10.2013)