Böhler: Das Werkzeug des Betrügers ist die Lüge. Da wurde halt viel verschleiert und versteckt.

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Standard: Sie arbeiten seit drei Jahren die verdächtigen Geschäfte der Hypo auf. Ihre Leute haben 1100 Fälle analysiert und bisher rund hundert Anzeigen eingebracht. Schadensvolumen: eine Milliarde Euro. War die Hypo eine kriminelle Organisation?

Böhler: Nicht die Hypo, aber ihre wesent­lichen Player. Von ihnen war jeder geil darauf, zu partizipieren – aber niemand wollte antizipieren, welche Folgen es hat, wenn man mit üblen Typen Geschäfte macht. Die Hypo ist nach dem Jugoslawien-Krieg vor allem in Südosteuropa rasant gewachsen. Dort hat sie oft mit Schwerstkriminellen, Geheimdienstlern, Militaristen, hochrangigen, bestechlichen Politikern kooperiert. Kleine Provinzbanker, die sich mit solchen Leuten ins Bett legen, müssen mit Problemen rechnen.

Standard:  Und niemand hat’s bemerkt?

Böhler: Gute Frage. Aus unseren Ermittlungen ergibt sich, dass die Bank in Südosteuropa Beamte bestochen hat, damit, zum Beispiel, die dortige Aufsicht nicht tätig wird. In Österreich war die Hypo in der Boomphase der Banken nicht im Fokus. Es ging darum, Geld zu machen, den Umsatz zu steigern und Boni zu kassieren. An Nachhaltigkeit hat niemand gedacht. Sie haben Millionen in Steinhaufen investiert, und die Steinhaufen sind heute noch Steinhaufen. Pfeif-mir-nichts-Kapitalismus plus Gier plus kriminelle Energie: Das war die Hypo.

Standard:  Und die verschwundenen Millionen suchen Sie jetzt ...

Böhler: ... ja, weil Geld verschwindet nicht, es wechselt nur den Besitzer.

Standard: Wer sind die neuen Besitzer der verschwundenen Milliarde?

Böhler: In den meisten Fällen hat sich nach unseren Recherchen eine Handvoll Bankmanager etlicher Strohmänner auf der Kundenseite bedient und mit deren Hilfe systematisch Geld aus der Bank gezogen. Dieses Geld landete auf Offshore-Konten auf den Bermudas, British Virgin Islands, in Panama, Zypern, Liechtenstein. Namen kann ich keine nennen, aber etliche davon kennt die Öffentlichkeit. Die haben das System der Bank für ihre eigenen kriminellen Machenschaften missbraucht, und heute büßen Mitarbeiter und Steuerzahler dafür.

Standard: Könnten Sie so einen Fall beschreiben?

Böhler: Der Banker spricht einen ihm vertrauten Kunden an, der auf seine Bitte hin ein Konto bei der Hypo in Liechtenstein eröffnet. Die Bank füllt dieses Konto, der Strohmann-Kunde hebt das Geld in bar ab, zahlt es gleich wieder auf ein anderes Konto ein – und von dort wird das Geld auf ein Drittkonto transferiert, von dem es Strohmann oder Manager abholen. Der Banker braucht das Geld, um jemanden zu bestechen oder um sich selbst zu bereichern. In aller Regel sind noch Berater involviert, die zur Verschleierung Scheinrechnungen legen.

Standard: Haben Sie schon Betrugsanzeigen gegen die Ex-Manager eingebracht?

Böhler: Wir haben zwei Sachverhaltsdarstellungen gegen ehemalige Vorstandsmitglieder der Hypo-Gruppe über Liechtenstein eingebracht. An weiteren arbeiten wir gerade.

Standard: Wie viele wussten von diesem System?

Böhler: Wenige, aber die waren intensiv involviert.

Standard: Und niemand hat’s bemerkt, weder Notenbank, noch Finanzmarktaufsicht, Finanzministerium, Wirtschaftsprüfer?

Böhler: Das Werkzeug des Betrügers ist die Lüge. Da wurde halt viel verschleiert und versteckt.

Standard: Die Hypo wurde aber oft geprüft, vor allem nach den Spekulationsverlusten, die 2006 aufflogen. Auf schlechte Kontrollsysteme wurde immer wieder hingewiesen.

Böhler: Ich glaube, nach den Swap-Verlusten, die dazu führten, dass Wolfgang Kulterer in den Aufsichtsrat wechselte, hat die politische Lobby dahinter den Laden wieder dichtgemacht. Die Öffentlichkeit hatte ihr Opfer erhalten.

Standard: Die Hypo in Liechtenstein hat im System Hypo wohl eine Schlüsselrolle gespielt?

Böhler: Ja. In Liechtenstein haben wir rund 1700 Namen und Konten gecheckt, da kristallisieren sich rund 300 Konten heraus, die mit kriminellen Vortaten zusammenpassen – und da werden wir 30 bis 50 Sachverhalte anzeigen. Liechtenstein war eine Waschmaschine für Schwarzgeld und eine Einrichtung, um Zahlungsflüsse zu verschleiern. Da wurden Millionen in bar behoben und im nächsten Moment wieder auf andere Konten eingezahlt: So etwas tut kein seriöser Mensch. In Liechtenstein haben nur 25 bis 30 Personen zusammengearbeitet: Banker, Strohmänner, Berater, Treuhänder. Bereichert haben sich um die zwanzig Personen, und zwar um mehrere hundert Millionen Euro, und auch da sind Ex-Manager der Hypo-Gruppe dabei. Für die alle wird es jetzt eng.

Standard: Hat sich etwas geändert, als die Bayern 2006 die Hypo gekauft haben?

Böhler: Auf dem Papier viel. Alles andere prüfen wir gerade im Rahmen der Irrtumsanfechtung rund um die Verstaatlichung.

Standard: Die Kosten der Aufarbeitung liegen schon bei an die 30 Millionen Euro. Wann werden Sie Ihre Recherchen beenden?

Böhler:In zwei, drei Jahren. Die Causa Hypo ist der größte Kriminalfall Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine forensische Aufarbeitung dieser Dimension hat es bisher nicht gegeben, wir haben mit unseren 15 Mitarbeitern allein 6,5 Millionen elek­tronischer Dokumente zu sichten. Man muss die ganze Geschichte aber aufarbeiten, das ist man dem Steuerzahler schuldig. Er wird ja auch noch für den volkswirtschaftlichen Schaden aus der Causa Hypo Alpe Adria geradestehen müssen. (Renate Graber, DER STANDARD; 19.10.2013)