Durchreiche auf Durchreise

Das außenpolitische Fach ist ja ein durch und durch angenehmes. Reiselustige Redakteure kommen ein bisserl herum in der Welt. Sie dürfen geostrategisch brillante und enorm fremdsprachenmächtige Politiker begleiten und sich in deren Licht sonnen. Auf allen Kontinenten nehmen sie teil am Leben der anderen, sehen betörend Schönes, riechen Armut, schmecken Fremdes. Sie schlafen in verwanzten Absteigen wie in Luxushotels. Ein warmes Essen gibt es gelegentlich, Erfrischungen gibt es immer. Haben die reisenden Schreiber Glück, gabeln sie da draußen eine Geschichte auf, die es wert ist, erzählt zu werden. Haben sie Pech, dann muss das gleich sein und ein Artikel - wie man so sagt - durchgegeben werden.

Aber: Durchreise und Durchreiche vertragen sich nicht. Ihr Autor hat schon Kollegen aus dem Auto kotzen sehen, als die verzweifelt versuchten, elendslange Texte in Blackberrys zu tippen und so nach Wien zu bugsieren. Auf EU-Gipfeln in Brüssel konnte man lange die Uhr nach dem um 15.30 Uhr eintretenden Systemabsturz stellen. Helfen konnte da nur ein Anruf bei gramgebeugten IT-Herren in Wien, deren Haar noch schneller zu ergrauen schien als das eigene. Manchmal aber waren auch sie mit ihrer Programmiersprache am Ende. Ganze Reportagen mussten fernmündlich ins Ohr einer flinken Sekretärin gehechelt werden. Erschienen ist immer irgendetwas. Was genau, ist eine andere Frage. (Christoph Prantner)

Ein Haar und ein Einfädler

Weil Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) Drogenverdächtige künftig Haartests unterziehen will, fragen die Innenpolitik-Redakteure Gerald John und Nina Weißensteiner die Innenministerin bei einem Interview, ob sie von ihr selbst auch Haare zu Testzwecken haben könnten. Wortreich betont Mikl-Leitner immer wieder, dass sie damit überhaupt kein Problem habe, macht aber keinerlei Anstalten, eine Locke herauszurücken. Erst beim vierten Anlauf - das Tonband ist bereits ausgeschaltet - greift Mikl-Leitner endlich zur Schere. DER STANDARD bekommt ein einzelnes Haar. Tags darauf ergeben die Recherchen bei diversen Labors, dass für einen Drogentest leider ein ganzes Büschel der Innenministerin nötig gewesen wäre. (red)

***

Ein oder zwei Tore verfehlt hat FPÖ-Nationalratskandidat Patrick Ortlieb im April 1999 bei seiner ersten Abfahrt auf dem Wiener politischen Parkett. Auf der nicht sehr selektiven Piste fädelte der Olympiasieger und Weltmeister knapp vor dem Ziel in der Herrengasse ein: "Wo ist denn da das Innenministerium?", fragte der untrainiert wirkende Ortlieb beim Empfang des STANDARD. Torrichter Martin wies die rechte Ideallinie. (red)

Der Besucher mit dem Blümchen 

Der direkte Kontakt mit den Lesern ist wichtig. Sie erzählen manchmal interessante Dinge. Manchmal. An einem Frühlingstag, an dem der Schnee noch hoch lag in Graz, erreichte unsere Redaktion ein aufgeregter Anrufer, der davon berichtete, dass er "etwas gefunden habe, am Murufer, beim Spaziergehen mit dem Hund". Vor meinem geistigen Auge sah ich den Obdachlosen, der bei Kottan immer die Leichen fand, und machte mich auf eine heiße Geschichte gefasst. Meine Frage "Was denn?" quittierte er mit: "Das möchte ich Ihnen lieber persönlich zeigen." Er komme gleich vorbei. Wir warteten gespannt und ich bedeutete meinem Kollegen mehrmals, jetzt im Büro zu bleiben. Man weiß ja nie.

Dann kam ein älterer Herr. Außer Atem zeigte er mir ein Foto, das er mit seinem Handy aufgenommen hatte: ein Blümchen. Im Schnee. Okay, es war ein ungewöhnlich langer, kalter Winter, da konnte einen so ein Blümchen schon in Euphorie versetzen, aber deswegen war der Mann zu uns gekommen? "Nein, natürlich nicht", sagte er, "ich habe das hier" (er griff in seine Manteltasche, und ich wich einen Schritt zurück und spähte in den Nebenraum zu meinem Kollegen) - gefunden!" Es war ein Abo-Angebot unserer Zeitung. Vier Wochen gratis. Ob das unser Ernst sei? "Ja ...", zögerte ich, "ist das schlecht?" "Nein, das ist super!" freute sich der Mann. Ich freute mich auch ein bisschen. Dann fragte er: "Wissen Sie eigentlich, dass es eine deutsche Version der Marseillaise gibt?" Nein, das war mir nicht präsent. Da sang er mit kräftiger Stimme die französische Nationalhymne für mich. Einmal auf Französisch, einmal auf Deutsch. Ich gebe zu, ich hatte ein bisschen Angst, obwohl seine Stimme gut war. Er ging sehr zufrieden. Ob er das Gratis-Abo in Anspruch nahm, wissen wir nicht. (Colette M. Schmidt)

Im Job am Zahnfleisch gehen

Wahrscheinlich würde mir das heute nicht mehr passieren. Meistens schlafe ich um diese Uhrzeit. Und ich weiß jetzt, wie man mit nervösen Pferden umgeht - oder besser nicht umgeht. Am 27. November 1992 wusste ich das noch nicht, und das sollte mir einen gebrochenen Kiefer, den Verlust von zwei Vorderzähnen und eine Narbe am Kinn bescheren. Diesen Abend verbrachte ich mit einem netten Kollegen in einem Szenelokal. Wir lachten viel, tranken (auch viel), und dann hörten wir in den ORF-Nachrichten um Mitternacht, dass die Hofburg brenne. Wir warfen uns in ein Taxi und fuhren mitten in ein Inferno. Der Dachstuhl der Redoutensäle stand in Flammen, das Feuer drohte auf die Stallungen überzugreifen. Ich drängte mich vor, wollte dabei sein, wenn Feuerwehr- und Cobra-Leute die nervös tänzelnden Lipizzaner herausführten. Plötzlich drückte mir jemand Zügel in die Hand, und ich stand da, allein, mit einem apfelschimmeligen Junghengst. Er schnaubte aufgeregt (ich auch), als ich ihn, wie geheißen, in die Fußgängerzone Am Graben führte. Ansonsten benahm er sich recht manierlich, und ich sah mich erleichtert um.

Es war bizarr: Durch die Fuzo galoppierten weiße Pferde, Passanten versuchten, sie anzuhalten. Leider steuerte eines der frei laufenden Rösser schnurstracks auf "meinen" Hengst zu und biss ihn ins Hinterteil. Ich versuchte den Angreifer zu scheuchen und stellte mich - schwerer Fehler - direkt vor das Pferd. Es stieg hoch und traf mich mit einem Huf im Gesicht. An den Rest erinnere ich mich nur verschwommen: spuckte zwei Zähne aus, wankte noch herum "um zu recherchieren", bis mich jemand in ein Rettungsauto bugsierte. Riss aus dem AKH aus, um an der ersten Sonderausgabe des STANDARD mitzuschreiben. Die KollegInnen bestaunten mein geschwollenes Gesicht, die Kunde von meinem Malheur machte die Runde, ich schaffte es gar mit Foto in die Krone. Das waren seltsame "15 minutes of fame".

DER STANDARD belohnte meinen Einsatz mit der Bezahlung meiner Zahnimplantate: "Dienstunfall", sagte Chefredakteur Gerfried Sperl lapidar. Es dauerte ein halbes Jahr, bis mein Kiefer so verheilt war, dass man neue Zähne hineinschrauben konnte. Dafür werde ich meine Enkel noch nerven, dass ich weiß, wie es ist, im Job am Zahnfleisch zu gehen. (Petra Stuiber)

Kanadi Kafadi - Carl Lewis 1:0

Was sind wir nicht manchmal unfassbar lustig gewesen! Kanadi Kafadi, Kagabi Kasushi, Kanasi Kagoschi - die fiktive Sippe eines Schneidermeisters vertrieb den Lesern und - Geständnis - mehr noch dem STANDARD-Sport die Zeit, als sich eine Ski-WM in Japan wetterbedingt wie ein Strudelteig zog. Das gehört zur Geschichte wie das "Furza Austria!", das sich einem der Unseren angesichts einer typisch österreichischen Fußballpartie entrang. Nur dem sicheren Geschmack von Oscar Bronner war es zu danken, dass ähnliche Lautmalerei hernach nie wieder ihren Weg auf die Titelseite fand: "Im Sport von mir aus, aber nicht auf der Einser!" Zugegeben, das Zitat ist ungenau, aber nicht so falsch wie jenes Ergebnis, das im September 1990 von der Einser spottete: Färöer - Österreich 0:1! Das Grauen von Landskrona, die ultimative Niederlage des Fußballteams, erschloss sich erst weiter hinten im Blatt. Nur ein Jahr später war das Ergebnisangebot nach einem Weltrekord des Sprinters Carl Lewis über 100 Meter schon breiter. In ein und demselben Artikel wurden ihm Laufzeiten von 9,90 und 8,86 Sekunden zugeschrieben. Bis zum "Kopf des Tages" auf der letzten Seite hatte sich Lewis auf 9,95 eingebremst. In den Geschichtsbüchern steht 9,86. Sicher richtig. Aber lustig? (lü)

Anarchischer Lustertanz

Ob es mehr der Punk oder doch der Grüne Veltliner war, der Erik O. in die Glieder fuhr, kann fast acht Jahre danach eigentlich niemand mehr sagen. "Ziemlich spät" sei es jedenfalls gewesen, als sich der deutsche Mitarbeiter auf der Weihnachtsfeier des STANDARD an den Kronleuchter hängte und Tarzanschreie ausstoßend über der Tanzfläche baumelte. Einem Artikel in der taz zufolge ("Anarchy in Austria", 10. 1. 2006) haben die Sex Pistols im CD-Player den Kurzschluss bei Erik O. getriggert, der - "offensichtlich die Wiederkehr des Antichristen vor Augen" und unter Zurufen der Gäste - zur Tat schritt. "Recht dünn" sei er gewesen, schildern die letzten Augenzeugen das Happening. Dem geringen Körpergewicht von Erik O. ist es zu verdanken, dass das Corpus Delicti nicht aus der Verankerung brach, sondern noch Tage später seelenlos von den Prunkräumen in der Herrengasse baumelte. "Der Kronleuchter war jedenfalls hin", erinnert sich Geschäftsführer Wolfgang Bergmann. Fortuna hat bekanntermaßen eine Schwäche für die Illuminierten - Erik O. erwischte just den einzigen Luster, der nicht unter Denkmalschutz stand. Den Schaden von 3000 Euro musste er zwar nicht begleichen, das freie Dienstverhältnis fand in dieser Nacht trotzdem sein abruptes Ende. (Julia Herrnböck)

Die Anwerbung Walsers

Im vergangenen Jahrtausend legte eine Kulturredaktion, die auf sich hielt, großen Wert auf das feine Netz ihrer Korrespondenten. DER STANDARD übernahm diese Gepflogenheit - zu seinem Besten. Eines Tages kündigte im (von Wien aus gesehen) fernen Vorarlberg das Kindertheaterfest Luaga und Losna sein Erscheinen an. Peter Vujica, Leiter der Geschicke des Kulturressorts, reagierte so umsichtig wie von ihm gewohnt. Er entzündete umständlich ein Zigarillo. Er bat die junge Sekretärin, den lokalen Mitarbeiter - einen Herrn Walser - mit der Anfertigung eines 80 Zeilen umfassenden Berichts über Luaga und Losna zu beauftragen. Der Weltgeist segnete sein Tun. Aufgeregt sprang die Sekretärin herbei: "Es gibt ein Problem. Herr Walser will nicht für uns schreiben ..." - "Geben Sie mir den Herrn", erwiderte der Ressortchef. "... ja, 80 Zeilen", flüsterte er freundlich in die Bakelitmuschel. Der Widerspruch aus dem Hörer klang verzweifelt: "Ich kann nicht, ich muss an meinem Roman schreiben!" Es war ein richtiger Walser, wenn auch nicht unbedingt der STANDARD-eigene: Dichter Martin Walser. (Ronald Pohl)

"I hob nix klingeln g'hert!"

Es war alles ganz anders, als es ausgesehen hat, damals, vor Jahren in der Wiener Leopoldstadt. Ich wollte wirklich nur kurz ... Aber lassen Sie mich von vorn erzählen: Ich, frisch aus der Yogastunde, habe den Mann am Telefon, eingeklemmt zwischen Ohr und Schulter: "Kino klingt gut, was schauen wir? Warte, ich hab da einen STANDARD." Gesagt, getan, nehme eine lachsrosa Zeitung aus der nächsten Selbstbedienungstasche, finde das Kinoprogramm auf Anhieb, kenne mich ja aus in meiner Zeitung. Bespreche die Filmwahl mit dem Mann am Ohr, während ein anderer, das sehe ich erst jetzt, langsam auf mich zukommt. Mit Mütze und Uniform, während ich, noch freundlich lächelnd, nicht verstehe, was der will, die Zeitung wieder zuklappe, sie zurück in die SB-Tasche stopfe und endlich höre, was der sagt: "I hob nix klingeln g'hert!" Bei mir klingelt es noch immer nicht, die Mütze wiederholt, und ich stehe da, begreife viel zu langsam: "Herr Inspektor", sage ich (zu dem, der das jüdische Bethaus bewachen sollte), "ich wollte nur nachschauen, wissen Sie, ist ja meine Zeitung, also die, für die ich arbeite, ich würde niemals. Hier meine Visitenkarte, wenn Sie schauen wollen." Der Mann schaut nicht, blickt nur unerbittlich unter der Mütze hervor und sagt: "Diebstahl. Ihre Papiere!" Es folgen Anzeige, Vorladung und eine lange Einvernahme. Und: mein Canossagang in die Geschäftsführung. Den eigenen Arbeitgeber zu beklauen ist kein Kavaliersdelikt. Der Mann im Anzug schaut ernst. "Diebstahl", sagt er, "soso." "Aber ich wollte nur kurz ..." Dann muss der Anzug schmunzeln, und bei mir fällt der Groschen. Es folgt ein Verteidigungsschreiben meines Arbeitgebers an das Kommissariat - und doch keine Vorstrafe. Seither habe ich zur Sicherheit ein Mitarbeiter-Abo. (Mia Eidlhuber)

Hühner statt Hünen

Ich war in der "Kronen Zeitung". Und das war schrecklich. Denn: Ich habe in aller Zeitungsöffentlichkeit einen Fehler gemacht, der hämische Kollegen tagelang in ihren Blättern öffentlichkeitswirksam amüsierte.

Der Casus: Anfang der 90er-Jahre durfte ich als Jungredakteurin in der jungen Karrierenbeilage arbeiten. Damals schmückten wöchentlich Karriere-Porträts unsere Seite 1. Eines dann besonders - wegen des Titels. Porträtiert wurde ein finnischer, sehr groß gewachsener Manager, der in seiner Freizeit gern segelt. Ich verpasste der Geschichte die Titelzeile "Finnischer Hühne segelt um Europa". Die Korrektur fand nichts dabei, die Chefs vom Dienst haben es überlesen. Und am nächsten Tag leuchtete riesig aus der Kronen Zeitung: "STANDARD: Da gackern ja die Hühner". Elendslang wurde die orthografische Unbedarftheit durch den Kakao gezogen - man hat sich höllisch über diesen Fehler gefreut. Der finnische Hüne hat's überlebt. Ich letztlich auch - aber beruflich gesehen waren die ersten Tage des allgemeinen Gackerns die schlimmsten, an die ich mich erinnern kann. (Karin Bauer, DER STANDARD, 19.10.2013)