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Eine Ära geht zu Ende: Nach zehn Jahren im Amt wird Sonntag ein Nachfolger für Georgiens Präsident Michail Saakaschwili gewählt. Umfragen sagen seiner Partei eine weitere Niederlage voraus.

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Das neue Barcelona am Schwarzen Meer: Blick über die Hafenstadt Batumi.

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Goldene Gondeln in einem Gebäude, dass zur technischen Universität gemacht werden soll.

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Es ist vielleicht nicht wert, es zu erwähnen, sagt Jemal Ananidse, aber dann erwähnt er es doch. "Ich hatte eine hohe Position im Finanzministerium, aber mein Gehalt hat gerade für die Fahrtkosten einer Woche gereicht. Für den Rest des Monats und für das Essen habe ich Geld von meinem Vater geborgt." Knapp 20 Jahre ist das her, erinnert sich der Bürgermeister von Batumi, der Art-Deco-Hafenstadt am Schwarzen Meer. Der junge Jemal Ananidse wollte etwas werden, und Batumi, Georgiens zweitgrößte Stadt, ahnte noch nichts von ihrem rasanten Wandel zur funkelnden Kitsch- und Kasinostadt für Russen und Türken, für Israelis und reiche Familien vom Golf.

37 Stockwerke hoch ragt ein schlanker weißer Turm über Batumi und seine Uferpromenade. An einer Seite der Fassade, weit oben, haben die Architekten eine enorme goldfarbene Brosche eingefügt. Man muss schon zwei-, dreimal hinsehen, um zu begreifen, was dort hoch oben in der Luft hängt: acht golden schimmernde Gondeln mit einem Glasdach. Alles Märchen, alles Prunk. "Vor zehn Jahren noch gab es hier keine Straßenbeleuchtung, und die Straßen selbst waren kaputt", erzählt Ananidse, der Bürgermeister. "Jetzt rufen die Leute in der Stadtverwaltung an und beschweren sich, wenn der Bus fünf Minuten zu spät kommt."

Barcelona als Vorbild

Das neue Barcelona am Schwarzen Meer soll Batumi werden, so hat es Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili angeordnet. Fast hätte er es geschafft. Die Ära Saakaschwili endet mit der Präsidentenwahl kommenden Sonntag. Zehn Jahre "Rosenrevolution" sind vorbei, ein Jahrzehnt der turbulenten Reformen, die das kleine Land im Kaukasus modernisiert und die ehemalige Sowjetrepublik im Westen verankert haben. Georgien ist Nato-Kandidat, im nächsten Monat wird das Assoziationsabkommen mit der EU paraphiert.

Doch die jungen Revolutionäre, die im November 2003 mit Rosen in der Hand das georgische Parlament gestürmt und Regierung und Staatschef wegen Wahlfälschungen entmachtet hatten, fühlten sich bald unangreifbar und über jede Kritik erhaben.

Ihr Konfrontationskurs gegen Moskau endete 2008 im Krieg und einer Niederlage innerhalb von Stunden. Die Parlamentswahlen im Oktober 2012 gingen verloren. Videos mit Folterszenen aus Gefängnissen waren aufgetaucht. Der Lack der demokratischen Reformer war ab. Sein letztes Jahr im Amt hat Saakaschwili in einer konfliktreichen Kohabitation mit seinem Gegner, Premier Bidsina Iwanischwili, zugebracht.

"Es ist Vergangenheit, und wir können es nicht ändern", sagt der bescheiden auftretende Bürgermeister von Batumi. 45 ist er jetzt, genau so alt wie Saakaschwili und das Gegenteil des sprunghaften, rastlosen Präsidenten. Aber er sieht weit mehr Licht als Schatten in der Ära Saakaschwili: die Modernisierung der Infrastruktur, die Reform von Gesetzen und Behörden, weit weniger Kriminalität auf den Straßen.

Unter der Armutsgrenze

Doch die sozialen Probleme sind geblieben. Fast 40 Prozent der Georgier leben unterhalb der Armutsgrenze, heißt es im Rathaus, und Batumis Einwohner beklagen sich über die so großen Unterschiede, die sich mit einem Mal in ihrer Stadt auftun: die heruntergekommenen Plattenbauten aus Sowjetzeiten gleich neben den futuristischen Hoteltürmen; die neue Kabelbahn vom Hafenkai hinauf zum Anuria-Berg - eine österreichische Konstruktion - und die "Marschrutkas", klapprige Kleinbusse, mit denen man für 60 Tetri - 50 Euro-Cent - quer durch Batumi holpert. "Das lässt sich wohl für die ungleiche Entwicklung im ganzen Land sagen", räumt der Bürgermeister ein.

15.000 Besucher hatte die Hafenstadt, bevor der Boom hereinbrach und türkische Baukonzerne aus dem Nachbarland Vier- und Fünf-Sterne-Hotels hochzogen. Mehr als 700.000 Touristen kommen nun im Sommer nach Batumi und an die Strände. Die Ummodelung der Stadt mit jetzt 170.000 Einwohnern ist noch lange nicht zu Ende. Überall im Zentrum wird an Baustellen gehämmert, Metall geschnitten, Beton gegossen. Das russische Gymnasium ist einer "Piazza" mit Restaurants, Hotel und Glockenturm gewichen. "Ich sage jetzt immer: Ich bin zur Piazza zur Schule gegangen", erklärt eine Hotelangestellte belustigt.

Der Machtkampf in Tiflis zwischen dem Präsidenten und seinen Anhängern auf der einen Seite und dem Regierungschef und dessen Partei auf der anderen hat natürlich auch Adscharien erreicht, die kleine autonome Teilrepublik, deren Hauptstadt Batumi ist.

Iwanischwili, der Premier und Milliardär, hat den langjährigen Leiter seines Bankhauses Cartu in Batumi zum Regierungschef in Adscharien gemacht. Ananidse wiederum hatte die Ränkespiele satt und trat im Sommer zurück. Er sei Teil des "alten Regimes" von Saakaschwili, hatte es geheißen. Ananidse wurde vom Stadtrat gleich wieder eingesetzt - mit noch besserem Ergebnis als bei seiner ersten Wahl.

Saakaschwilis Prestigeprojekt einer Technischen Universität in Batumi hat der Premierminister aber der ausufernden Kosten wegen abgedreht. Der Turm mit der riesigen Brosche ist fertig gebaut, aber leer. Deshalb auch drehen sich die goldenen Gondeln in Batumi nicht. (Markus Bernath aus Batumi, DER STANDARD, 21.10.2013)