SPD-Mann Matthias Ilgen (li.) war bisher als Wrestler tätig und als solcher ein recht Böser.

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Neu im Bundestag: TV-Kommissar Charles M. Huber ...

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... und Michelle Müntefering.

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Der deutsche Bundestag ist deutlich schneller als die künftige Regierung. Während die Verhandlungen über eine große Koalition erst am Mittwoch beginnen, ist das Plenum des deutschen Parlaments schon komplett und kommt am Dienstag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.

Bis zuletzt wurden im Plenarsaal unter der gläsernen Kuppel Stühle gerückt und Kabel gelegt. Denn der neue Bundestag ist mit 631 Abgeordneten etwas größer als der alte (622 Mandatare).

Nicht mehr dabei ist die FDP, die bei der Wahl am 22. September die Fünf-Prozent-Hürde nicht schaffte. Dadurch erfüllt sich - zumindest bei der Sitzordnung - ein Wunsch, den viele Konservative in der Union hegen: Rechts von uns darf kein Platz sein.

Im Plenum ist das jetzt tatsächlich so. Früher saß die FDP ganz rechts, jetzt rücken CDU und CSU bis an den rechten Rand. Andere Auswirkungen jedoch sind gravierender. Kommt es tatsächlich zu einer großen Koalition (wovon man derzeit ausgehen kann), dann steht dieses mächtige Bündnis einer arg geschrumpften Opposition gegenüber.

In Zahlen sieht das so aus: Es wird 504 Koalitionsabgeordnete geben (311 CDU/CSU, 193 SPD), aber nur 127 Oppositionsabgeordnete (64 Linke, 63 Grüne). Die Opposition kommt nicht einmal jene 25 Prozent der Abgeordneten, die nötig sind, um einen Untersuchungsausschuss einzuberufen oder ein Misstrauensvotum an die Regierung stellen. Von 60 Redeminuten gehen nur noch zwölf an die Opposition.

Damoklesschwert nötig

"Eine Regierung, die dieses Damoklesschwert nicht mehr über sich weiß, ist immer gefährdet, dass sie abhebt", sagt Grünen-Chef Cem Özdemir über weggefallene Oppositionsrechte. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in einem Brief seine Besorgnis mitgeteilt.

Nicht nur dieser zeigte Verständnis für die Zwergenopposition. Deren Rechte sollen zwar nicht mittels Änderung des Grundgesetzes geschützt werden. Aber CDU/CSU und SPD wollen bei den Koalitionsverhandlungen nach einer Lösung suchen - "um der Demokratie einen Dienst zu erweisen", wie CDU-Vizechefin Julia Klöckner erklärt.

Wenn alte wie neue Abgeordnete am Dienstag ihre Plätze einnehmen, dann wird sich der Blick jedoch nicht nur auf Vertreter der Opposition richten. Gerade in den Reihen der künftigen Regierungsparteien gibt es einige besondere Volksvertreter.

So zieht für die SPD ein echter Wrestler ins Parlament ein: Matthias Ilgen (29) aus Schleswig-Holstein. Er trat in den vergangenen Jahren als "Matthias Rüdiger Freiherr von Ilgen" in den Ring, war dabei immer der Böse (Heel) und das sehr gerne. Denn: "Man muss sich auch mal zum Deppen machen lassen." Daraus leitet der Veranstaltungskaufmann durchaus Vorteile für seine neue Tätigkeit ab: "Das dicke Fell, das man entwickelt, kann man in der Politik durchaus gebrauchen." Auf seinen Kampfanzug will Ilgen im Plenum allerdings verzichten.

TV-Kommissar bei der CDU

Schauspielerische Qualitäten bringt auch ein anderer mit: Charles M. Huber, der in der CDU-Fraktion Platz nehmen wird. Einem größeren Publikum ist er aus der TV-Krimiserie Der Alte bekannt. In dieser verkörperte er zwischen 1986 bis 1997 den Polizeikommissar Henry Johnson.

Eigentlich war Huber auf der hessischen Landesliste so weit hinten gereiht, dass kaum jemand mit seinem Einzug in den Bundestag rechnete. Doch das gute Abschneiden der CDU bei der Wahl öffnete ihm doch die Parlamentspforte. Der 56-Jährige (Vater Senegalese, Mutter Bayerin) ist der erste von zwei deutschen Abgeordneten mit afrikanischen Wurzeln.

Der andere, Karamba Diaby, wird Mitglied der SPD-Fraktion sein. Er wurde im Senegal geboren und kam 1985 zum Chemiestudium nach Sachsen-Anhalt. Schon vor der Bundestagswahl hat er klargemacht, dass er sich in seiner politischen Tätigkeit in Berlin auf keinen Fall auf Integrationsthemen beschränken wolle.

Nicht mehr im Bundestag vertreten wird der ehemalige SPD-Chef und Vizekanzler Franz Müntefering sein. Das rote Urgestein war insgesamt 32 Jahre lang Abgeordneter und schied mit dieser Wahl aus. Doch der Name Müntefering bleibt erhalten, denn ab jetzt ist "Müntes" 40 Jahre jüngere Ehefrau Michelle (33) dabei. Sie zieht als Direktkandidatin aus dem Ruhrgebiet ins Parlament.

Grundsätzlich ist dieser Bundestag weiblicher als der vorige - und als der Erste sowieso. 1949 betrug der Frauenanteil bescheidene 6,8 Prozent, 2009 lag er bei 32,8 Prozent, jetzt bei 36,3 Prozent.

Zu den neuen jungen Frauen gehört auch Cemile Giousouf. Die 35-Jährige aus Nordrhein-Westfalen und hat die deutsche sowie die griechische Staatsbürgerschaft. Sie ist die erste Muslima, die für die CDU im Bundestag sitzt. (Birgit Baumann, DER STANDARD, 22.10.2012)