Gesundheitstourismus - das war ein Zauberwort auf der gestrigen Tagung des österreichischen Heilbäder- und Kurorteverbandes (ÖHKV) in Bad Hofgastein. 560 Millionen Euro Umsatz im Jahr macht dieses Segment des Gesundheitssektors. Österreich zählt 75 Kurorte mit rund 400 Kureinrichtungen.
Manche davon, besonders die Luftkurorte, wüssten längst nicht mehr um ihren Status, sagt ÖHKV-Geschäftsführer Kurt Kaufmann, der Sektor habe in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Umbrüche erlebt, so etwa als in den 90er-Jahren Selbstbehalte, gestaffelt nach Einkommen, von den Krankenkassen eingeführt wurden.
Im Zuge der Gesundheitsreform könnten jetzt Änderungen anstehen. "Es geht um Angebote im präventiven Bereich für Menschen mit dauerhaften Beeinträchtigungen", sagt Josef Probst, Generaldirektor im Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Kuren sollten die gesundheitliche Situation verbessern oder zumindest stabilisieren, hier habe die Kur auch künftig ihren Stellenwert, so Probst, "wenn Leistungen gebraucht werden und die Qualität passt, muss es eine Finanzierung geben."
Prävention als Priorität
150 Millionen Euro sind in der Gesundheitsreform in den kommenden Jahren für Prävention reserviert. Die Kurbetriebe hoffen auf zusätzliche Mittel. "Es geht darum, Lebensstiländerungen zu erreichen, da haben wir strenge Leistungsprofile und Vorgaben", sagt Kaufmann. Eine Kur solle kein Urlaub sein, wie das der Branche früher oft vorgeworfen wurde, sondern diene der Erhaltung und Festigung von Gesundheit und vor allem der Arbeitskraft.
Die Verlängerung der Arbeitszeit sei im Hinblick auf die Finanzierung der Sozialsysteme auch ein hochaktuelles Thema. Der Gesetzgeber sieht vor, dass jeder Österreicher mit gesundheitlichen Beschwerden alle drei Jahre eine von der Sozialversicherung finanzierte Kur antreten kann.
"Aktive Gesundheitsvorsorge für Berufstätige hat Priorität, desgleichen Ernährung, Bewegung und mentale Gesundheit", sagt Rudolf Müller, Ärztlicher Direktor der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) über Kuren, die im ASVG-Bereich abgerechnet werden. Etwa 85 Prozent der Menschen kommen mit Problemen im Stütz- und Bewegungsapparat, Übergewicht sei ein boomendes Segment.
Faktor Zeit
Um nachhaltig Veränderung im Lebensstil zu erzielen, müssten Kuren auch dementsprechend lang dauern. Deshalb ist eine verordnete Kur auch ein Krankenstand und kein Urlaub. Kuren, weiß der ÖHKV, sind konjunkturabhängig, in wirtschaftlich schlechten Zeiten gehen Kuranträge zurück. "Wir brauchen für Kuren eine Zeitspanne von drei Wochen. Es geht nicht nur um den Körper, sondern auch um die Psyche. Da geht es ums Runterkommen", sagt ÖHKV-Obmann Adolf Weber.
Lebensstiländerungen brauchen Zeit und ausführliche Gespräche mit Ärzten über die verordneten Therapieprogramme. "Das Zusammenspiel von Therapie und Medizin ist uns sehr wichtig", sagt Weber, und mit Wellness, mit der manche gesundheitstouristische Anbieter immer mehr werben, habe ein Kuraufenthalt wenig zu tun.
Im Spannungsfeld zwischen Wellnessangeboten und Rehabilitation argumentieren die Kurbetriebe indes auch mit der Wertschöpfung durch ihre Branche. Etwa 15 Prozent der gesamtösterreichischen Übernachtungen entfallen auf Kuren. Zudem werden Arbeitsplätze gesichert. Rund 10.000 Personen finden in Kurbetrieben eine saisonunabhängige Beschäftigung, was besonders strukturschwachen Regionen zugutekommt.
Über die kommunalpolitische Bedeutung von Kuren plant Kaufmann eine Studie und nennt ein Beispiel. Hätte Niederösterreich keine Kurbetriebe, gäbe es im dortigen Tourismus viele Nächtigungen nicht. Allein im Moorbad Harbach im Waldviertel gibt es 200 qualifizierte Arbeitsplätze. Auch das regionale Kleingewerbe profitiert von Kurbetrieben. Kurgäste sind wichtige Konsumenten, die ÖHKV als private Interessenvertretung will nun verstärkt den allgemeinwirtschaftlichen Stellenwert der Branche kommunizieren.
Neue Perspektiven
So stellen die Verantwortlichen auch neue Weichen. Neben den sozialversicherten Kurgästen will man Gesundheitstourismus forcieren, also Kurgäste als Selbstzahler gewinnen. Nach Meinung vieler Markt- und Trendforscher ist genau das ein Wachstumssegment in der gesamten Branche und insofern ein Konjunkturmotor für die kommenden Jahre.
Immer mehr Menschen leiden an chronischen Erkrankungen, viele davon sind durch ungesunden Lebensstil verursacht. Durch die demografische Entwicklung werden die Menschen immer älter und erkennen die Notwendigkeit, vorbeugend aktiv zu werden. "Gesundheitstourismus, wie wir ihn verstehen, setzt vor allem auf Prävention", sagt ÖHKV-Obmann Weber. (Martin Schriebl-Rümmele, DER STANDARD, 22.10.2013)