Wien - Friedrich muss liegen. Er hat eine offene Wunde am Bein und kann sich nur mit Krücken fortbewegen. Am Montag wäre ihm das beinahe zum Verhängnis geworden. Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche kam die Polizei und vertrieb ihn aus dem Stadtpark. "'Räumen!' haben sie zu uns gesagt", erzählt Friedrich. "'Eine halbe Stunde, sonst ist die 48er da, und alles verschwindet wieder'". In eine Decke gehüllt, eine Zigarette rauchend, erzählt der 56-Jährige am Dienstag frühmorgens von diesem Erlebnis. Seine Kollegen haben ihm beim Packen der wenigen Habseligkeiten geholfen. "Wenn wir zusammen sind, passen wir aufeinander auf."

Es ist ein nebeliger Morgen, und es nieselt. Um halb acht Uhr sind einige Jogger im Stadtpark unterwegs, auch Menschen im Anzug, die ins Büro eilen. Auf den Parkbänken sitzen Obdachlose, denen kaum ein Passant Aufmerksamkeit schenkt. Friedrich übernachtet seit zwei Jahren hier. In eine Einrichtung will er nicht gehen: "In der Gruft (Obdachloseneinrichtung, Anm.) schlafen 60 Leute, mir ist schon so viel gestohlen worden. Da schlafe ich lieber auf der Straße." Dass es nun zum zweiten Polizeieinsatz innerhalb einer Woche gekommen ist, wundert ihn nicht. "Die gehen gezielt auf uns los."

Auch Peter* hat die Aktion miterlebt: "Wir sind alle geflüchtet, die Sachen haben wir mitgenommen. Es hat geheißen, die werden entsorgt. Da haben wir uns gedacht, wir gehen lieber." Statt im Stadtpark hat er die Nacht bei einer U-Bahn-Station verbracht. Auch vom Polizeieinsatz letzte Woche (derStandard.at berichtete) war Peter betroffen. Er versteht nicht, warum er gehen soll: "Wir haben noch nie Probleme mit Anrainern gehabt."

Auf Beschwerden der Anrainer bezieht sich jedenfalls die Polizei, wenn sie auf die Räumungen angesprochen wird - und auf die Kampierverordnung aus dem Jahr 1985, die besagt, dass das "Auflegen und Benützen von Schlafsäcken" außerhalb von Campingplätzen verboten ist. Die Wiener Caritas vermutet jedoch, dass Ursula Stenzel (ÖVP), die Bezirksvorsteherin des ersten Bezirks, die Räumungen veranlasste. Generalsekretär Klaus Schwertner sagt: "Wo sind da bitte schön Anrainer?"

Stenzel dementiert, sagt im Gespräch mit dem Standard jedoch: "Parkbänke sind keine adäquate Unterbringung." Ihr geht es in der Debatte nicht nur um die soziale Obsorge, die für die Obdachlosen getragen werden müsse ("Eine Spendenaktion fände ich gut"), sondern auch darum, die "öffentliche Ordnung" einzuhalten. Die Stadt Wien gibt derzeit pro Jahr 48 Millionen Euro im Bereich der Wohnungslosenhilfe aus. Für Obdachlose gibt es 5000 Schlafplätze, nun wird am runden Tisch mit NGOs um mehr verhandelt.

Peter Hacker, Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien, sieht daher auch keinen Grund, die Kampierverordnung zu ändern: "Es ist gut, dass Kampieren nicht erlaubt ist. Sollen wir die Armut mit einer Zeltstadt sichtbar machen? Das würde unsere Bemühungen konterkarieren." Die Grünen können sich das allerdings sehr wohl vorstellen. Sozialsprecherin Birgit Hebein sagt: "Ja, wir sollten die Kampierverordnung überdenken. Niemand will in einer Stadt leben, wo Obdachlose vertrieben werden."

Peter und Friedrich wollen jedenfalls im Stadtpark bleiben, sie interessiert das Politikhickhack nur wenig. Im Gegensatz zu Ernest aus der Slowakei wollen sie in gar keine Unterkunft, sondern im Freien schlafen. Ernest sitzt auf einer Parkbank und freut sich über die Zigarette, die ihm angeboten wird. Er sagt: "Ich weiß noch nicht, wo ich morgen schlafen soll." Er hofft auf November, wenn die Stadt die Plätze aufgestockt haben wird, um dann in einem Notquartier unterzukommen. Bis dahin hüllt er sich in seinen Schlafsack und hofft, dass der Winter erst danach Einzug hält. (Rosa Winkler-Hermaden, Video: Maria von Usslar, DER STANDARD, 23.10.2013)