Bild nicht mehr verfügbar.

Zumindest über den Dächern des Alten Bazars von Istanbul, über die James Bond zuletzt in "Skyfall" mit dem Motorrad raste, scheint die europäisch-türkische Welt in friedlicher Flaggenordnung

Foto: Reuters

Es ist, über lange Zeit betrachtet, eine quälende On-off-Beziehung, die die Europäische Union und die Türkei bezüglich eines EU-Beitritts führen. Am Dienstag haben die EU-Außenminister in Luxemburg beschlossen, die Verhandlungen darüber fortzusetzen und das nächste thematische Kapitel - über Regionalpolitik und Strukturförderung - zu eröffnen.

Dazu wird es Anfang November auf Ministerebene eine eigene "Beitrittskonferenz" geben. Ein Formalakt. Damit geht eine bereits drei Jahre andauernde Eiszeit zwischen Brüssel und Ankara zu Ende, in der die Gespräche ausgesetzt waren. Auslöser waren der Konflikt um das geteilte Zypern. Ankara weigert sich, die griechisch-zypriotische Regierung dieses EU-Landes anzuerkennen. Und wegen der Mängel bei Menschenrechten, Reformen in Justiz und Demokratie drängten Frankreich und Deutschland zuletzt auf eine "privilegierte Partnerschaft" statt der Mitgliedschaft.

Ministerpräsident Tayyip Erdogan schaltete auf stur, attackierte seinerseits die Union. Insgesamt müssen 35 Verhandlungskapitel abgeschlossen werden, ehe die EU-Kommission als Verhandlungsführer im Auftrag der Mitgliedstaaten formell überhaupt den Beitritt eines Bewerbers zur Union empfehlen könnte. Mit der Türkei wird seit 2005 verhandelt, aber bisher wurde bloß ein einziges Thema - Wissenschaft und Forschung - abgeschlossen, 13 Kapitel erfolglos eröffnet. Dem strategisch für Europa wichtigen Nato-Mitglied wurde bereits 1999 der Kandidatenstatus verliehen.

Noch im Jahr 2007 hatte man gemeinsam auf höchster Ebene vereinbart, alle 35 Verhandlungsmaterien bis 2013 abzuschließen, womit die Türkei den gesamten EU-Rechtsbestand zu übernehmen hat. Ginge es also in dem Tempo weiter, wäre das Land wohl auch in 50 Jahren noch nicht EU-Mitglied.

Vor allem seit der Eurokrise ist dieses Dahinschleppen des Beitrittsprozesses den Schlüsselländern der Union nicht unrecht. Die Aufnahme von bald 100 Millionen Türken als EU-Bürger würde die Gemeinschaft strukturell und nicht zuletzt finanziell vor schier unlösbare Probleme stellen. Die Mehrzahl der Staaten, und auch Erweiterungskommissar Stefan Füle, drängen jedoch darauf, dass man bald die heikelsten Themen angeht: Justiz, Grundrechte, Schutz von Minderheiten. Ohne Fortschritte geht nichts mehr.

Wie sehr es in Bezug auf europäische Standards in der Türkei im Argen liegt, hat sich bei der gewaltsamen Niederschlagung der Bürgerproteste im Gezi-Park in Istanbul im Mai gezeigt. Erdogan ließ die Polizei mit aller Härte durchgreifen. Es gab viele Hundert Verletzte. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte daraufhin die schon fix geplante Fortsetzung der Verhandlungen im Juni ab. Als letztes EU-Land zogen zuletzt die Niederlande ihren Vorbehalt zurück. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 23.10.2013)