Veränderungen im Weltklima der letzten rund hunderttausend Jahren haben das mikrobielle Ökosystem unter dem Meeresboden entscheidend beeinflusst. Das belegen neu entdeckte Spuren in Meeressedimenten vor der Küste von Peru. Forscher vom Bremer Max-Planck-Institut und ihre Kollegen konnten nachweisen, dass das Leben im Untergrund offenbar äußerst dynamisch abläuft und verhältnismäßig schnell auf Veränderungen im Ozean reagieren.

Die Wissenschafter vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (MPI) und ihre Kollegen vom MARUM und der Universität Aarhus erforschen seit über zehn Jahren das Leben im Untergrund des Meeres, die Tiefe Biosphäre. Dieses Ökosystem, welches ausschließlich von Mikroben bewohnt wird und mehrere hundert Meter unter den Meeresboden reicht, gilt als stabil. Allerdings ist bisher wenig darüber bekannt, wie sich dieses System über Jahrtausende verändert hat und wie das mikrobielle Leben dort die Stoffkreisläufe von Kohlenstoff in den Ozeanen beeinflusst. Wie dynamisch diese Wechselwirkung ist und war, zeigen die Ergebnisse einer Analyse von Bohrkernen vom Kontinentalschelf vor Peru.

Leben in der Methanfront

Ein Verbund von Mikroorganismen (Archaeen und Bakterien) im Meeresboden nutzt die Energie von Methan, das sie mit Hilfe von Sulfat oxidieren. Dieser Prozess ist unter dem Namen Anaerobe Oxidation von Methan (AOM) bekannt. Das Methan stammt aus tieferen Schichten im Meeresboden, das Sulfat stammt aus dem darüber liegenden Meerwasser, aus dem es langsam in den Meeresboden diffundiert. Beide Reaktionspartner treffen in einer Schicht aufeinander, die man als Methan-Front bezeichnet. Nur an dieser Front stehen beide Substanzen in ausreichender Konzentration den Mikroorganismen zur Verfügung, und genau dort hinterlässt der AOM-Prozess stabile Signaturen in Form von charakteristischen Zellbestandteilen.

Archaeol, ein Membranbestandteil der Archaeen, ist ein stabiles Molekül und bleibt deshalb über Jahrtausende bis Jahrmillionen erhalten. Da durch den Stoffwechsel der Mikroben auch Barium und Karbonat freigesetzt werden, kommt es an der Sulfat-Methan-Übergangszone zur Ausfällung von Baryt (Bariumsulfat) und Dolomit (Magnesium-Kalzium-Karbonat). Anhand dieser organischen und mineralischen Signaturen in Bohrkernen kann man die relative Tiefe früherer Übergangszonen zum damaligen Meeresgrund bestimmen.

Um die Wanderung der Methan-Front in den letzten 500.000 Jahren zu rekonstruieren, untersuchten der Palaeo-Ozeanograf Sergio Contreras und seine Kollegen bis zu 200 Meter lange Bohrkerne aus dem Sediment vor der Küste Perus. Dort fanden die Wissenschafter eine Schicht, die gleichzeitig Archaeol, Baryt und Dolomit enthält. Erstaunlicherweise liegt diese Schicht rund 20 Meter oberhalb der heutigen Methan-Front. Zeitliche Abschätzungen lassen den Schluss zu, dass diese Schicht vor etwa 125000 Jahren während der letzten Warmzeit entstanden sein muss, und dass die Methan-Front während der letzten Eiszeit nach unten gewandert ist. Offenbar haben die Mikroorganismen sehr schnell auf Veränderungen im Ozean angesprochen.

Mathematische Modelle, Kohlenstoff und das globale Klima

Um die Entwicklung der Tiefen Biosphäre und deren Einflüsse zu simulieren, haben Contreras und seine Kollegen ein mathematisches Modell entwickelt. Damit fanden sie heraus, dass der Eintrag von organischem Kohlenstoff der bestimmende Faktor für die relative Lage der Sulfat-Methan-Übergangszone war, wobei bekannt ist, dass der Kohlenstoffeintrag vor der Küste Perus durch das globale Klima gesteuert ist. In den wärmeren Perioden gab es verstärkten Kohlenstoffeintrag, der dazu führte, dass die Methan-Front relativ schnell nach oben wanderte. Entsprechend in kälteren Zeiten mit vermindertem Kohlenstoffeintrag sank die Front tiefer.

Der Geologe Patrick Meister unterstreicht die Bedeutung dieser Studie: "Die entdeckten Spuren sind der Schlüssel zur Geschichte von mikrobieller Aktivität und deren dynamische Wechselwirkung mit Klima und Ozeanographie über einen Zeitraum von 100.000 Jahren. Wenn wir noch weiter in der Zeit zurückgehen und zum Beispiel die letzte Million Jahre betrachten", so vermutet Meister, "finden wir möglicherweise noch viel dramatischere Veränderungen in der tiefen Biosphäre." (red, derStandard.at, 26.10.2013)