Minigolfen in Italien und andere Impressionen aus der Ferne: Ruth Beckermanns Dokumentarfilm "Those Who Go Those Who Stay".

Foto: Viennale

Eine Idee für einen Dokumentarfilm, welche die Freiheit dieser Gattung schön zum Ausdruck bringt: Man stelle sich auf eine Straße, lasse neun Menschen passieren, und über den zehnten drehe man einen Film. Der Filmemacher Georg Stefan Troller erzählt in Ruth Beckermanns Film gleich zu Beginn von dieser dadaistischen Idee. Umgesetzt hat er sie nie, aber immer reizvoll gefunden.

Ruth Beckermann hält sich in Those Who Go Those Who Stay auch nicht an dieses Zufallsprinzip, doch sie befreit sich mit dieser ungewöhnlich offenen Arbeit von vielen Konventionen, denen auch dokumentarische Formen oft Genüge tun. Ohne lineare Bewegung auf ein einzelnes Thema zu sucht sie nach vielfältigen Spuren von Menschen, die ins Exil gegangen oder in ihrer Heimat geblieben sind. Und selbst diese Beschreibung trifft es nur unzureichend: Oft sieht sich Beckermann nur an Orten um, in denen sich (Flucht-)Geschichten ganz beiläufig manifestieren.

Für dieses Unterfangen schöpft die Filmemacherin auch aus dem eigenen Archiv und greift zu Aufnahmen, die am Rande von früheren Werken oder auch autonom davon entstanden sind. Als Einzelstück sind sie oft in einem anregenden Sinne erratisch. Einmal fahren die Filmemacherin und der Kameramann Peter Roehsler zum Beispiel im Auto durch die Umgebung von Jerusalem und unterhalten sich darüber, was Satan mit der Geschichtsträchtigkeit dieses Ortes anfangen würde - begänne er seine Ausführungen im Jahr 1967 oder doch schon 1948?

Lose Fäden, kleine Knoten

In Wirklichkeit ist weniger der Anfang entscheidend als das Ausbleiben eines Endes. Den Verwerfungen der Geschichte kommt man in Those Who Go Those Who Stay in kleinen biografischen Auszügen auf die Spur. Beispielsweise in einer kürzeren Passage mit Mathias Zwilling, dem jüdischen Lehrer aus Czernowitz, den man auch aus einem Film von Volker Koepp kennt, der erst nach dieser Aufnahme entstanden ist.

Beckermann spinnt lose Fäden - das Motto des Films nimmt auf Ariadnes Geschenk an Theseus Bezug -, welche sie bis zu gegenwärtigen Verhältnissen weiterzieht, etwa zu den jungen fußballbegeisterten Nigerianern, denen sie in Italien begegnet.

Sucht man nach einem strukturellen Motiv, so findet man es zuallererst in dem des Reisens. Beckermann, die, oft allein unterwegs (und insofern als Subjekt im Film auch präsent), neugierig auf eine unvertraute Umgebung blickt. Mit überraschenden Exkursen muss man rechnen - wie auf einer Messe, wo es um eine kugelförmige Kamera geht, mit der man Räume ausspioniert ("Kann man die aus Flugzeugen werfen?"). Zufallsbegegnungen gehören zum Prinzip, eine der komischsten ist jene mit dem Architekten Rudy Ricciotti, der sich vor der Kamera ins Zeug wirft und von Beckermann hübsch ausgebremst wird.

Dass diese Migrations- und Reiseverflechtungen den kulturellen Reichtum einzelner Länder fraglos vergrößert haben, dafür findet Beckermann schöne Belege: Ihre Aufnahmen wecken Lust auf unbekannte Orte und ungewöhnliche Begegnungen. Umso abstoßender wirkt die Mir-san-mir-Seligkeit einer FPÖ-Veranstaltung: ein (fast zu) starkes Gegenbild in diesem Film, der die Grenzen offenlässt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 24.10.2013)