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US-Geheimdienste sollen Angela Merkels privates Mobiltelefon abgehört haben. Auf der Computermesse CeBIT im März dieses Jahres war noch prominent verkündet worden, dass Kanzlerin Merkel im Sommer auf ein abhörsicheres Handy umsteigt.
Für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte der Lauschangriff des US-Geheimdienstes NSA auf ihr Mobiltelefon zum Auftakt des EU-Gipfels oberste Priorität: "Ausspionieren unter Freunden, das geht gar nicht", sagte sie Donnerstag in Brüssel. Das habe sie US-Präsident Barack Obama bereits im Juni in Berlin und Mittwochabend telefonisch erklärt. "Jetzt muss das Vertrauen wiederhergestellt werden", betonte sie, für Verbündete unumgänglich.
Die Kanzlerin strich auch hervor, dass es vor allem um das Recht der Bürger gehe, nicht um sie als Regierungschefin. Mit den EU-Partnern wolle sie klären, welche Datenschutzabkommen und welche Regeln gelten müssten. Sie traf diesbezüglich gleich zu einer bilateralen Unterredung mit dem französischen Präsidenten François Hollande zusammen. Auch dieser wollte das Thema Datenschutz und die Aufzeichnung von zig Millionen Telefonaten von Franzosen durch die NSA zum Thema machen. Konkrete Folgen, etwa ein Aussetzen des Swift-Abkommens zum Bankdatenaustausch, wie das EU-Parlament fordert, oder ein Stopp der Gespräche über ein Handelsabkommen wird es aber nicht geben.
In Berlin war die Aufregung den ganzen Tag über parteiübergreifend noch größer. Zwar hat US-Präsident Barack Obama Merkel telefonisch versichert, dass die USA ihre Kommunikation weder "überwachen" noch "überwachen werden". Doch dass Merkel in der Vergangenheit nicht abgeschöpft wurde, hat er nicht erwähnt. Darauf weisen auch verärgerte Regierungskreise in Berlin ausdrücklich hin.
US-Botschafter einbestellt
Deutschlands Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sagt ganz offen: "Ich rechne seit Jahren damit, dass mein Handy abgehört wird. Allerdings habe ich nicht mit den Amerikanern gerechnet." Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat den US-Botschafter in Berlin einbestellt. Ein solcher Rapport gilt als Alarmzeichen in diplomatischen Beziehungen. Auch die deutsche Bundesanwaltschaft hat sich eingeschaltet. Sie will die mit der Affäre befassten Bundesbehörden um Übermittlung ihrer Erkenntnisse bitten.
Welches Handy es "erwischt" haben soll, darüber schweigt die Regierung. Spekuliert wird, dass es ein älteres Nokiagerät war, das Merkel von 2009 bis Juli 2013 als CDU-Chefin im Einsatz hatte, und dass die Hinweise auf den Lauschangriff aus Unterlagen des Ex-US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden stammen. In der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung erklärt ein Sprecher des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) das Gerät sei nicht als abhörsicher eingestuft worden.
Eigentlich müssen die mobilen Geräte der deutschen Regierungsmitglieder abhörsicher sein. Noch im Sommer hatte Merkel erklärt, sie wisse nichts davon, dass sie abgehört werden könnte. Dass sie einen Großteil ihrer internen Kommunikation per SMS (unterzeichnet mit "am") abwickelt, ist bekannt. Vor allem während Bundestagsdebatten sieht man Merkel eifrig tippen. Die dienstliche Kommunikation muss sie - wie die anderen Regierungsmitglieder auch - nur über gesicherte Geräte über das geschützte Regierungsnetz "Informationsverbund Berlin-Bonn" abwickeln. Das ist vom normalen Internet abgekoppelt, Knotenpunkte nach außen werden überwacht.
Europa digital im Rückstand
Laut "Guardian" soll Merkels Telefon nicht das einzige gewesen sein, das im Visier des US-Geheimdienstes NSA stand. Dem Zeitungsbericht zufolge soll die Telefonkommunikation von 35 internationalen Spitzenpolitikern überwacht worden sein. Die Nummern habe die NSA von einem Beamten der US-Regierung erhalten, schrieb die Zeitung am Donnerstag unter Berufung auf Unterlagen aus dem Fundus des Informanten Edward Snowden.
Hätte es die aktuelle Aufregung um das Merkel-Handy nicht gegeben, wäre das Thema digitale Kommunikation und Datenschutz beim Gipfel auf ganz andere Weise zur Sprache gekommen. Die EU-Kommission drängt auf Beschleunigung von Projekten zum Ausbau der digitalen Agenda in Europa, etwa Glasfaserleitungen. Bis 2020 konnte dies einen Wachstumsschub von zusätzlich vier Prozent bringen.
Entscheidungen dazu werden wegen Uneinigkeit der Staaten ständig verschoben. Der Vorsprung der USA auf dem Gebiet IT ist beträchtlich. Auch fehlen Facharbeiter. Dazu gehörte auch die Verabschiedung einer neuen EU-Datenschutzverordnung, die die alte von 1995 (!) ablösen soll. Das wird aber zwischen Ministerrat, Kommission und Parlament hin- und hergeschoben, könnte erst 2016 kommen. Am Abend wurden Bankenunion und engere Kooperation in der Eurozone besprochen. (Birgit Baumann aus Berlin, Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 25./26.10.2013)