"Pop kann auch gute Kunst sein, ist aber in erster Linie Kommunikation", wird Wolfgang Kos, Radiomacher und Direktor des Wien Museum, im Buch Wienpop zitiert. Es geht um den "Vienna Underground", der sich in den späten 60ern gegen nationalsozialistischen Mief organisierte, etwa in Gestalt von Novak's Kapelle oder der Schockrocker Drahdiwaberl.

Kommunikation ist auch ein Grundpfeiler des Buches Wienpop, handelt es sich doch um eine "Oral History" der Wiener Popmusik. Eineinhalb Jahre lang haben Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkirchner und Gerhard Stöger Interviews geführt: mit Musikern und Produzenten, mit Künstlern, Lokalbetreibern, Journalisten. Rund 130 Protagonisten plauderten aus dem Nähkästchen.

Dann wurde verdichtet und collagiert, fünf Jahrzehnte Musikgeschichte wurden in vier Kapitel unterteilt. Die 50er- und 60er-Jahre teilen sich eines, zirka mit dem Auftauchen der Bühnen-Laptops in den 90ern ist Schluss. Die Jahreszahlgrenzen sind dabei eher Behelf: Punk etwa, zentrales Thema im Kapitel über die 80er, beginnt eben schon Mitte der 70er.

Für jedes Kapitel hat ein anderer Herausgeber die roten Fäden verlegt, anhand derer die Interview-Schnipsel montiert sind: "Ö3 und die Musicbox", "Der Wiener Blutrausch und die aufkommende Do-it-yourself-Kultur" oder "Die Experimental-Szene: Vom Singen der Kühlschränke" heißen die Abschnitte etwa. Wichtig war es den Autoren, dass kein bedeutendes Ereignis nur auf Basis einer einzigen Erinnerung erzählt würde.

Die können nämlich trügerisch sein, und vereinzelt erklären die Interviewten sogar, sich nicht mehr genau erinnern zu können. Widersprüche sind für Wienpop aber freilich essenziell, zum Beispiel über die Konzeption des Ambros-Hits Da Hofa.

"Der Joesi" (Prokopetz, natürlich) werde niemals zugeben, dass "der Hofa" nicht als tiefschürfende Sozialkritik gedacht war, vermutet Wegbegleiter und Produzent Peter Müller. Wenige Zeilen zuvor wird allerdings Prokopetz zitiert: Es seien vor allem die interpretationslüsternen Rezensenten gewesen, die den Song zum "tiefen Blick in die österreichische Seele" erklärt hätten. Ihm sei jener Text, mit dem Wolfgang Ambros ein wegweisender Hit gelang, mit 19 Jahren beim Spachteln einer Wand in der Semmelweis-Klinik eingefallen. Lieber Leser, mach dir selbst ein Bild.

Wenn man sich einmal an den Gesprächston gewöhnt hat, dann lädt Wienpop überhaupt zum Aktivwerden ein. Selbst wer Vorkenntnisse mitbringt, wird nämlich so manchen Namen "youtuben" müssen - während er wort- und bildreich in Zeiten entführt wird, in denen man sich vor allem in Kaffeehäusern, Plattenläden und Clubs wie dem U4, dem Chelsea oder der Blue Box "vernetzt" hat. Zwar könnte es laut Vorwort eines Tages ein "multimediales Begleitprogramm" geben, vorläufig muss man sich den heißen Brei, um den Wienpop naturgemäß herumredet, aber selbst organisieren. Eine Unzahl von Plattencover-Abbildungen hilft auch beim Flohmarkt-Shopping.

Fundstücke werden dann reichhaltig aufgeladen mit Geschichte(n): Launige Anekdoten über Bandgründungen ("Chuzpe klang so ähnlich wie Kotze, hat aber Klasse!", erzählt Punkband-Gründer Robert Wolf) treffen auf Reflexionen über die drei großen "Hansis": Dujmic, Lang und Hölzel. Wer die Zeiten der exzessiven Verausgabung überlebt hat, hilft, sie zu rekonstruieren - jene Zeiten, wo man auch als Konzertbesucher nicht immer ganz sicher war in seiner Haut. Hier werden beredt Mythen und Jugendsünden erforscht, dort gerät André Heller ins Philosophieren.

Wienpop wirft nicht nur einen Blick auf soziale Zusammenhänge (etwa bei Arena-Bewegung oder Mods), sondern auch auf die Produktionsmittel: So geht es im Kapitel zur elektronischen Musik sowohl um die Eindeutschung von Hip-Hop als auch um die Ankunft des Samplers.

Hinter vielen kleinen Erzählungen zeichnen sich dabei zeitlose Themen ab: Die Auseinandersetzungen zwischen Denkern und Machern, zwischen Technik und Gefühl, zwischen "Subkultur und Gerschtl" (F. Ostermayer). Die Geschichte, wie einer vom intuitiven Tun zum Konzept kommt, sich mit der Verwertungskette arrangieren muss und dann entweder für den Underground oder den Mainstream verlorengeht, wird in mehr als einer Variation erzählt. (Roman Gerold, Album, DER STANDARD, 25./26./27.10.2013)