Corinna Milborn: "Klarnamen zerstören den hierarchielosen Raum des Internets." Gerlinde Hinterleitner: "Moderatoren und Redakteure müssten sich aktiv in Diskussionen einmischen, dann ändert sich die Tonalität sofort."

Collage: STANDARD

Wien - Wie kann man die Qualität der Foren verbessern? Ist der Hass ansteckend, der einem in Postings entgegenschlägt? "Troll Dich! - Klarnamenpflicht versus Anonymität in Internet-Foren" war der Titel einer Diskussion der Initiative Qualität im Journalismus (IG) Donnerstagabend in Wien. "Auch bei uns gibt es problematische Foren", sagt Moderatorin Eva Weissenberger, Chefredakteurin der "Kleinen Zeitung" in Kärnten. Mit der Einführung der Handyregistrierung seien bei der "Kleinen Zeitung" die Hälfte der Postings weggefallen, der Ton sei aber nur kurzfristig besser geworden. Zu heiklen Themen lässt die "Kleine Zeitung" deshalb nun gar kein Forum zu. Aber das sei freilich auch keine Lösung.

Rassistisch und sexistisch

"Wenn man sich mit Migration oder Sexismus beschäftigt, kann man die Foren eigentlich nur schließen oder nicht lesen", sagt Puls-4-Infochefin Corinna Milborn. Wenn man einen Text zu diesen Themen veröffentlicht, nehme man in Kauf, dass durch die Postings mehr Text geschaffen wird, der rassistisch oder sexistisch ist. "Für die Protagonisten dieser Geschichten ist das schwerst beleidigend und schockierend. Das geht nicht an ihnen vorbei." 

Postings als Vehikel

"Männer, die mit Frauen ernsthafte Probleme haben, verwenden das Netz als Kanal, weil sie im herkömmlichen Journalismus nicht durchkommen", sagt "Falter"-Redakteurin Ingrid Brodnig über die "antifeministische Clique". Diese Männer könnten durch Foren zusammenfinden, das sei auch eine Strategie, Nachwuchs werde so mobilisiert. "Hass hat etwas unglaublich Zusammenführendes." Hier seien Postings ein Vehikel, über das sich diese radikalen Gruppen finden.

Sicherheitsmechanismen fehlen online

Generell zeige sich mehr und mehr, dass es online dieselben Probleme gebe wie offline. "Aber online fehlen die Sicherheitsmechanismen. Das Problem sind nicht die Poster, sondern eine Gruppe von Postern, die mit ihrem Verhalten das ganze Klima verseuchen", sagt Brodnig. Sie veröffentlicht im Jänner das Buch "Der unsichtbare Mensch. Wie die Anonymität im Internet unsere Gesellschaft verändert".

Redakteure sollen sich einmischen

"Auch die Foren von derStandard.at haben noch nicht die Qualität, die wir wollen", sagt Verlagsleiterin Gerlinde Hinterleitner, "wir werden künftig noch konsequenter sein." Sie ist Leiterin des neu geschaffenen User-Generated-Content-Bereichs bei derStandard.at. Zehn Community-Manager kümmern sich um rund 20.000 Postings pro Tag. "Moderatoren und Redakteure müssten sich aktiv in Diskussionen unter den Artikeln einmischen, dann ändert sich die Tonalität sofort." Hinterleitner: "Ein Onlineartikel ist nicht mit Veröffentlichung zu Ende, sondern erst dann, wenn keiner mehr mitdiskutiert."

Diskussionsplattform bieten

"User-, nicht postingzentrierte Moderation" sei hier wichtig, man müsse sich mit den Menschen hinter den Postings beschäftigen. Zwischen sieben und zehn Prozent der Postings bei derStandard.at würden gelöscht, bei dieStandard.at bis zu 30 Prozent. Eine Diskussionsplattform zur Verfügung zu stellen sieht sie als Aufgabe von Medienhäusern. "Medien, die das nicht machen, werden die Revolution nicht überleben."

Daten auszulagern sei ein "Wahnsinn"

Bei derStandard.at müssen sich Poster mit einer gültigen E-Mail-Adresse registrieren, "wir wollen mit den Usern in Kontakt treten können", sagt Hinterleitner. Die Anonymität in Foren abzuschaffen und nur Klarnamen zuzulassen sieht sie nicht als Mehrwert. Sie fragt auch, wie eine Klarnamenpflicht funktionieren soll. "Wir sind ja keine staatliche Institution, die sagen kann, schicke uns deinen Reisepass." Maßnahmen wie User-Identifizierung via Facebook seien ein "Wahnsinn", man könne Userdaten nicht an Facebook auslagern.

Vergleich Posting versus Leserbrief

Postings mit Leserbriefen zu vergleichen findet Hinterleitner "absurd". "Ein Forum ist ein Dialog, ein Sich-miteinander-Austauschen unter den Teilnehmern." Der Vergleich von Postings mit Leserbriefen funtkioniere schon allein wegen der Anzahl nicht, sagt auch Brodnig. Auch die Motivation sei eine andere. "Bei Leserbriefen will ich mich zu Wort melden. Beim Forum geht es um das Diskutieren, aber auch um das Streiten."

Auf die Marke achten

Das sieht Milborn anders. Leserbriefe und Postings lassen sich vergleichen, "beides erscheint in einem Medium". Das Medium sei für die Veröffentlichung verantwortlich, und "es fällt auf das Medium zurück, was dort steht". Es sei langfristig wichtig, auf die Marke zu achten. Milborn: "Ich verstehe  nicht, warum eine große Anzahl an Postings wichtiger ist als der Qualitätsanspruch." Sie verweist auf das Forum von "Zeit.de", dort werde strenger selektiert.

Politisch korrektes Forum uninteressant

"Wir wollen natürlich die guten Postings, wir wollen aber auch, dass es unterhaltsam bleibt und unterschiedliche Meinungen vorkommen dürfen", sagt Hinterleitner dazu. "Ein politisch korrektes Forum liest ja keiner mehr, das ist uninteressant." Natürlich sei die Forenwartung eine Gratwanderung, "es hängt auch oft von der Tagesverfassung ab, wie streng man ist".

Interessante Postings in den Vordergrund stellen

Brodnig ist ebenfalls gegen die Abschaffung der Anonymität. "Wenn alle Medien die Anonymität abschaffen würden, dann würden viele nicht mehr posten. Oft auch aus gutem Grund." Es gehe darum, die interessanten Postings in den Vordergrund zu stellen und Foren zum Beispiel nicht chronologisch zu reihen.

Brodnig betont, wie wichtig es sei, dass sich Redakteure in Diskussionen einbringen. Als Beispiel führt sie die britische Tageszeitung "Guardian" an. "Wenn innerhalb der ersten zehn Postings ein Posting aus der Redaktion vorkommt, ist der Ton viel freundlicher." Dadurch würde man sich auch Moderationskosten sparen.

Klarnamen zerstören hierarchielosen Raum

Auch Corinna Milborn spricht sich gegen eine Klarnamenpflicht aus. "Klarnamen zerstören den hierarchielosen Raum des Internets", sagt sie. Und: Die Abschaffung der Anonymität würde auch nicht vor beleidigenden Postings schützen. "Ich werde auf Facebook genauso beleidigt wie in Postings auf derStandard.at." (Astrid Ebenführer, derStandard.at, 25.10.2013)