Der Home Screen von Unity, hier mit überlagerter Schnellstarterleiste, die aus jeder Anwendung heraus mit einem Swipe vom linken Bildschirmrand aufgerufen werden kann.

Screenshot: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Der Lock-Screen von Ubuntu Phone gibt Aufschluss über aktuelle Aktivitäten

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Die grundlegende Softwareaustattung steht mittlerweile. So gibt es einen einfachen, Webkit-basierten Browser...

 

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...oder ein nett gemachte Uhrenanwendung samt Stoppuhr, Wecker und Timer.

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Auch eine Terminal-App darf nicht fehlen, immerhin handelt es sich hier um ein vollständiges Linuxsystem.

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Über die Suche lassen sich zusätzliche Programme aufspüren und nachinstallieren, auch wenn das diesbezügliche Angebot noch eher dünn ist.

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Die Systemeinstellungen von Ubuntu Phone / Touch.

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Einen Mangel an ambitionierten Zielen kann man Softwarehersteller Canonical wahrlich nicht nachsagen. Neben dem Linux-Desktop- und -Servergeschäft will man künftig auch den Smartphone- und Tabletmarkt erobern. Entsprechende Pläne hat das Unternehmen erstmals Anfang des laufenden Jahres verkündet. Seitdem wurde eifrig im Hintergrund gearbeitet, so dass es seit kurzem mit Ubuntu 13.10 for Phones die erste offizielle Version des mobilen Betriebssystems gibt.

Erste Release

Den Begriff "stabil" verwendet Canonical dabei bewusst nicht, dies - wie sich im Folgenden zeigen wird - durchaus zurecht. Schon auf der Downloadseite verweist man auf die aktuelle Zielgruppe: EntwicklerInnen und "Industriepartner", die über eine Auslieferung von Ubuntu Phone / Ubuntu Touch auf eigenen Geräte sinnieren.

Nexus

Offiziell unterstützt werden derzeit ausschließlich Geräte aus Googles Nexus Linie, da sich diese durch ihre große Offenheit einfach mit alternativer Software betreiben lassen. Also vor allem das Nexus 4 und das Galaxy Nexus sowie in abgespecktem Ausmaß Nexus 7 (2012) und Nexus 10. Diese Einschränkung ergibt sich aus dem Umstand, dass Ubuntu Touch bisher kaum für die Tablet-Nutzung optimiert wurde. Aus den Reihen der Community gibt es aber noch Portierungen auf zahlreiche weitere Geräte.

Installation

Ein grafisches Tool zur Installation gibt es derzeit noch nicht, der offizielle Installationsweg funktioniert über das phablet-flash Tool, das Canonical in einem eigenen Repository für die Desktop-Ausgabe von Ubuntu anbietet. Da es sich hierbei eigentlich nur um ein Skript handelt, das diverse Android-Tools wie fastboot oder adb aufruft, können erfahrenere NutzerInnen die Ubuntu-Touch-Pakete alternativ auch manuell installieren. Interessant ist dies vor allem für jene, die gerade keinen Ubuntu-Desktop zur Hand haben.

Fortsetzung

Nach rund einer halben Stunde sollte der Flash-Vorgang erledigt sein, Zeit einen Blick auf das eigentliche System zu werfen. Das Kern-User-Interface präsentiert sich dabei weitgehend so, wie es bereits in unserem ersten Blick auf Ubuntu Phone im vergangenen März der Fall war. Insofern folgt nur ein kurzer Schnelldurchlauf der grundlegenden Prinzipien.

User Experience

Fix positionierte Knöpfe gibt es nicht, statt dessen ist Ubuntu Touch ganz auf die Gestennutzung ausgerichtet. Mit einer Wischgeste von links werden die Favoriten plus die laufenden Programme eingeblendet, also quasi das Äquivalent zum Unity Launcher am Desktop. Eine Streichbewegung von oben öffnet die diversen "Indicators" für Systemeinstellungen und Co., von unten kommend werden Menüpunkte zur jeweiligen App dargestellt. Besonders nett: Ein "Swipe" von rechts kehrt auf das zuletzt genutzte Programm zurück.

Home Screen

Der - hübsch gemachte - Lock Screen zeigt aktuelle Aktivitäten an. Überhaupt sind die Animationen und die grafische Gestaltung sehr gut gelungen, zumindest was das Kern-User-Interface anbelangt, für die Apps kann das derzeit noch nicht durchgängig behauptet werden. Der "Home Screen" Unity teilt sich in vier Seiten auf: Einer Überblicksansicht, die Informationen aus unterschiedlichen Quellen zusammenführt, einem App-Starter, sowie eigenen Musik- und Videoansichten.

Es geht

So weit so bekannt, doch wo bei den Apps vor einigen Monaten noch alles "Fake" war, sind die mitgelieferten Programm nun voll funktionsfähig. Es funktioniert also nicht nur Telefonie, SMS und mobile Datennutzung, auch ein Browser, eine Kamera-App, eine Musikanwendung oder auch ein Videoplayer werden mitgeliefert. Dazu kommen noch eine Galerie-App, ein Taschenrechner, Uhr, Notizblock und Wetter-App. Und da es sich hier - im Gegensatz zu Android - um ein volles Linux-System handelt, gibt es natürlich auch einen Terminal mit all den üblichen Kommandozeilentools.

Simpel

Die Kernausstattung steht also weitgehend, auch wenn angemerkt werden muss, dass bei praktisch allen mitgelieferten Programmen derzeit wirklich nur das Nötigste geboten wird. Neben diesen "nativen" Apps, die in Qt/QML entwickelt werden, werden noch "Web Apps" für Gmail, Facebook, Amazon und Twitter mitgeliefert. Diese sind eigentlich nur ein Link auf die mobilen Webversionen der einzelnen Services.  Sehr nützlich ist allerdings, dass die jeweiligen Accountdaten zentral über Ubuntu Touch verwaltet werden.

App-Angebot

Neue Apps können direkt über die in Unity integrierte Suche aufgespürt werden, einen dedizierten App Store gibt es bislang nicht. Wenig überraschend ist das Angebot hier noch recht dünn gesät, aber zumindest ist der eine oder andere Anzeiger für XKCD-Comics mit dabei.

Onlinesuche

Wie bei aktuellen Desktop-Versionen von Unity auch, lässt sich die Suche mit Plugins erweitern, so dass Informationen aus verschiedenen Onlinequellen einbezogen werden. Wer sich damit nicht wohl fühlt, kann dieses Feature über die Einstellungen deaktivieren.

Aktueller Status

Alles sehr nett gemacht, aber wer sich mit Ubuntu 13.10 ein fertiges Smartphone-Betriebssystem erwartet hat, wird beim Ausprobieren schnell auf den Boden der Realität geholt. Die aktuellen Defizite machen eine Nutzung als Alltagssystem zu einer Angelegenheit nur für die leidenfähigsten aller Fans. So gibt es derzeit kein Copy & Paste, eine Rechtschreibprüfung fehlt ebenso, wie mancher Einstellungspunkt ins Leere führt. Auch die Kerninteraktion ist noch nicht ganz ausgereift, gern mal bleibt die Tastatur im Bild, wo sie es eigentlich nicht sollte, oder es nicht klar, wie man wieder zur letzten Seite in der App zurückkehrt.

Stabilität

Dazu kommen diverse schwerwiegende Stabilitätsprobleme. Das Galaxy Nexus auf dem der Test durchgeführt wurde, ist regelmäßig vollständig "eingefroren", und musste anschließend neu gestartet werden. Die Kernperformance ist mittlerweile prinzipiell durchaus ansprechend, auch wenn beim Galaxy Nexus ein bekannter Bug dazu führt, dass die Nutzung recht schnell zur Pein wird.

Was fehlt

Auch die Akkulaufzeit lässt noch sehr zu wünschen übrig. Ein Mail-Client fehlt noch vollständig. Vor allem aber vermisst man den Dock-Modus, der ein Gerät mit Ubuntu Touch in einen vollständigen Desktop verwandeln soll. Zwar ist an sich eher zweifelhaft, dass dieser - aufgrund der Hardwarebeschränkungen - jemals für ein Gerät wie das Galaxy Nexus kommen wird, aber auch sonst ist er bisher nur blanke Theorie.

Technische Grundlagen

Viele wichtige Fortschritte der letzten Monate spielen sich denn auch eher in jenem Bereich ab, von dem die NutzerInnen nur wenig sehen, also auf der Ebene des Betriebssystems. Zwar wird weiterhin der Linux-Kernel von Android verwendet, um die Treiber direkt übernehmen zu können, in anderen Bereichen hat man sich aber emanzipiert. Allen voran kommt nun der eigene Display Manager Mir statt SurfaceFlinger von Android zur Grafikausgabe zum Einsatz.

Pakete

Fast noch wichtiger: Die Eckpunkte des App-Systems stehen jetzt. So werden diese nicht über ein herkömmliches Linux-Paketsystem ausgeliefert, sondern in "Click-Packages" versammelt. Damit einher geht, dass alle Apps von einandere isoliert laufen, wie man es auch von anderen mobilen Betriebssystemen her gewohnt ist, und essentiell für die Sicherheit ist. Für diesen Zweck benutzt Canonical AppArmor, das auch bereits aus dem Desktop/Server-Bereich bekannt ist. Ein weiterer Unterschied zu klassischen Linux-Systemen: Große Systemupdates werden nicht als Einzelpakete sondern in Form einer monolithischen Updatedatei ausgeliefert.

Fazit

Seit unserem ersten Blick auf Ubuntu Touch / Phone hat sich zweifelsfrei viel getan. Und doch: Von einer Alltagstauglichkeit ist die Software noch ein ganzes Stück entfernt. Das aktuelle Ubuntu 13.10 for Phones muss als Alphaversion klassifiziert werden, zu schwerwiegend sind noch die Defizite und fehlenden Funktionalitäten, um auch nur ein Betastadium nahezulegen.

Ausblick

Insofern dürfen ruhig Zweifel daran aufkommen, ob man es bis zur nächsten Version in sechs Monaten wirklich schafft, aus all dem ein wirklich stabiles System zu schmieden. Ubuntu 14.10 scheint da schon ein realistischeres Ziel, das ist aber noch ein Jahr entfernt. Immerhin sollte nach der Fertigstellung der Kernfunktionen auch noch der Feinschliff und die Stabilisierungsphase folgen.

Strategisches

Langfristig entscheidend wird aber ohnehin etwas anderes sein: Ob es Canonical gelingt, Hardwarehersteller für die Unterstützung des eigenen Systems zu gewinnen. Denn  so nett es auch sein mag, ein alternatives Betriebssystem auf sein Smartphone zu packen, bleibt dies doch ein Nischenmarkt, auf dem sich nur schwerlich ein valides Geschäftsmodell aufbauen lässt.

Marketing

Dabei muss man sich auch etwas einfallen lassen, damit das öffentliche Interesse an Ubuntu Phone / Touch nicht einschläft, bevor die Software überhaupt wirklich nutzbar ist. Mit der Ubuntu-Edge-Kampagne ist dies im letzten Jahr sehr gut gelungen. Auch wenn die Ambitionen auf ein per Crowdfunding finanziertes Smartphone schlussendlich gescheitert sind, haben sie doch Canonical viel Aufmerksamkeit verschafft. Ob dieses Momentum bis in einem Jahr reicht, ist freilich eine andere Frage.

Herausforderung

Bleibt zu hoffen, dass Canonical all die erwähnten Herausforderungen meistern kann. iOS aber vor allem auch das zunehmend geschlossener werdende Android könnten einen starken Herausforderer brauchen. Und Ubuntu Touch hätte potentiell durchaus das Zeug dazu, diese Rolle einzunehmen. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 18.11.13)