Engelbert Broda, 1910-1983, vor dem theoretischen Physiker Ludwig Boltzmann, über den er mehrere Arbeiten verfasste.

Foto: Zentralbibliothek für Physik

Sein Sohn hat ihm eine Webpage eingerichtet – zur Erinnerung, aber auch zum Weiterforschen. Das sei er seinem Vater einfach schuldig gewesen, sagt Paul Broda bescheiden. Der 74-Jährige lebt in Edinburgh, ist emeritierter Genetik-Professor und, ganz nebenbei, ein guter Freund und Nachbar von Peter Higgs, dem Nobelpreisträger für Physik 2013. Und obwohl Paul Broda 1939 in London geboren wurde und fast seine gesamtes Leben in Großbritannien verbrachte, hat er doch enge Beziehungen zu Österreich.

So ist er regelmäßig in Wien, jedenfalls am 26. Oktober. Der Grund ist allerdings nicht der Nationalfeiertag. Am 26. Oktober 1983, also vor genau 30 Jahren, starb sein Vater, der große Chemiker und Physiker Engelbert Broda, völlig überraschend bei einem Spaziergang in der Au bei Hainburg. Und aus diesem Grund treffen sich an diesem Tag Verwandte, Bekannte und Freunde Brodas.

Seine letzte Ruhe fand der renommierte Wissenschafter in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof der Stadt Wien. In der Nähe ist sein Onkel bestattet, der Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst, sowie sein um sechs Jahre jüngerer Bruder Christian, der für die SPÖ rund 20 Jahre lang österreichischer Justizminister war. Mit ihm hat sich der politisch kompromisslose Engelbert, bis zum Tod KPÖ-Mitglied, erst in späten Jahren wieder versöhnt.

"Ein Leben für die Wissenschaft und für den Frieden" steht auf dem Stein über Engelbert Brodas Ehrengrab. Diese Worte sind gut gewählt, wie man sich ab sofort auch anhand einer neuen Website überzeugen kann, die Paul Broda in mühevoller Arbeit und in Zusammenarbeit mit der Zentralbibliothek für Physik der Universität Wien für seinen Vater anlegte, um ihm so ein letztes Mal Dank abzustatten. Und man würde sich wünschen, dass es mehr solche digitale Archive für große österreichische Wissenschafterinnen und Wissenschafter gäbe.

Außergewöhnliches Lebenswerk

Brodas außergewöhnliches und außergewöhnlich vielfältiges Lebenswerk rechtfertigt die Würdigung allemal: Als physikalischer Chemiker, der sich mehr und mehr der Biologie zuwendete, schrieb er unter anderem ein Standardwerk über bioenergetische Prozesse und sagte 1977 die Existenz von Bakterien voraus, die Ammonium ohne Sauerstoff in Luftstickstoff umwandeln können – 16 Jahre später wurden sie tatsächlich entdeckt.

Als Wissenschaftshistoriker verfasste er bis heute lesenswerte Texte über die Naturwissenschaften in Österreich um 1900, insbesondere über Ludwig Boltzmann. Broda war aber auch ein exzellenter Wissenschaftspopularisator. Und als öffentlicher Wissenschafter machte er sich um die frühe Friedens- und Umweltschutzbewegung verdient: Er war Mitverhinderer des Wasserkraftwerks Dürnstein in der Wachau und des Kernkraftwerks Zwentendorf, förderte früh die Erforschung der Solarenergie und engagierte sich in der Pugwash-Bewegung für atomare Abrüstung.

Enttarnung als Atomspion

Mit in sein Ehrengrab nahm er indes ein Geheimnis, das erst 2007 ansatzweise gelüftet wurde – und bis heute nicht restlos aufgeklärt ist. Engelbert Broda war im britischen Exil ab 1942 einer der wesentlichen Spione für den kommunistischen Geheimdienst KGB und hatte den Sowjets unter dem Decknamen "Eric" Details der US-Atombombenprojekte verraten, die so bereits drei Jahre vor den Briten im Besitz der Atombombe waren.

Erstmals wurde sein spektakulärer Fall im 2009 erschienenen Buch "Spies, the Rise and Fall of the KGB in America" dokumentiert. Einer der Autoren, der Ex-KGB-Mitarbeiter Alexander Vassiliev, hatte Anfang der 1990er-Jahre Zutritt zum mittlerweile wieder gesperrten Archiv des Geheimdiensts erhalten und enthüllte mehr als 25 Jahre nach Brodas Tod, was vom britischen Geheimdienst MI5 nie bewiesen werden konnte.

Eine noch detailreichere Fassung des Spionagethrillers legte Paul Broda 2011 in dem Buch "Scientist Spies" vor, das nicht nur die Lebensgeschichte seines Vaters aufarbeitet, sondern auch die seiner Mutter und seines britischen Stiefvaters Alan Nunn May. Der war als kommunistischer Physiker ebenfalls für den KGB tätig, wurde im Gegensatz zu Engelbert Broda jedoch 1946 geschnappt, büßte sechs Jahre hinter Gittern und heiratete danach Engelbert Brodas geschiedene Frau.

Broda spionierte aus politischen Gründen: um als Kommunist die Sowjets in ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus zu unterstützen und um das Monopol des Westens auf die Atombombe zu verhindern. Angebotene Zahlungen des KGB lehnte Broda konsequent ab. Die Übergaben fanden, wie man aus den KGB-Dokumenten weiß, in London statt: Broda markierte in Telefonzellen Seiten im Telefonbuch und gab so Ort und Zeit der Treffen bekannt, bei denen er das Material übergab.

1946 war damit vermutlich Schluss. "Etliche Fragen sind aber nach wie vor offen", so Paul Broda, "Und Antworten werden sich wohl nur in russischen Archiven finden lassen": So sei unklar, wer damals wen rekrutiert hat (auch die österreichisch-britische Fotografin Edith Tudor-Hart, der im Wien Museum gerade eine Ausstellung gewidmet ist, spielte dabei eine zentrale Rolle) oder von wem Broda physikalisch beraten wurde. Alles, was man weiß, ist auch auf der Homepage nachzulesen.

Karriere zurück in Wien

Engelbert Broda ging zurück nach Wien, habilitierte sich 1948 – und musste dann gut 15 Jahre lang warten, ehe er erst mit 53 Jahren eine bezahlte außerordentliche Professur an der Universität Wien erhielt. Das damals strikt katholisch-konservativ geführte Unterrichtsministerium unter den Cartellverbands-Mitgliedern Felix Hurdes und Heinrich Drimmel wusste es bis 1964 zu verhindern, dass Broda an der Uni Karriere machen konnte, obwohl der schon um 1957 in eine Art innere Emigration zum Kommunismus ging, ohne indes öffentlich mit der KPÖ zu brechen.

Seiner internationalen Anerkennung als Wissenschafter tat das keinen Abbruch. Und zumindest privat wurde seine Meinung von Politikern wie Hertha Firnberg, Bruno Kreisky, Rudolf Kirchschläger oder Heinz Fischer durchaus geschätzt.

All das und noch viel mehr ist auf der neuen Homepage dokumentiert, mit der Paul Broda die Beschäftigung mit seinem Vater zu einem Abschluss gebracht hat. Bleibt nur zu hoffen, dass diese digitale Dokumentation Anstoß für die weitere wissenschaftshistorische Erforschung von Leben und Werk Engelbert Brodas gibt. Ein sehr viel spannenderes österreichisches Wissenschafterleben im 20. Jahrhundert wird man kaum finden. (Klaus Taschwer, derStandard.at, 25.10.2013)