Eher schon vergessen: burgenländische Roma in den 1930er-Jahren in der klassischen Formation einer pannonischen Blasmusikkapelle.

Foto: Privatarchiv Aufner

Eher wieder erinnert: die Mattersburger Judengasse 1934. Die linke Straßenseite und das anschließende alte Ghetto wurden 1941 gesprengt.

Foto: Bgld. Landesarchiv / Fotosammlung

Mattersburg - Das Gedenken an die Schoah hat sich auch im Burgenland - über das der Terror 1939 mit ungeheurer Plötzlichkeit hereingebrochen war - gewandelt. Mittlerweile interessiert man sich hier nicht bloß pflichtschuldigst an Vertreibung, Raub und Ermordung - was im Burgenland ja schon vor dem "Anschluss" begann. Das Interesse richtet sich zunehmend auch auf die vorangegangenen Jahrhunderte. Der Blick über die Schoah zurück ist vielen, so scheint es, zur unmittelbaren Heimatkunde geworden.

Fast zeitgleich sind unlängst zwei einschlägige Bücher erschienen. Ursula Mindler erzählt anschaulich vom Leben in der neologischen Gemeinde Oberwart. Ausdrücklich setzt sich die in Budapest und Graz lehrende Historikerin zum Ziel, "den Schwerpunkt auf jüdisches Leben zu legen", und nicht bloß auf dessen Vernichtung (Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsoor, Edition Lex Liszt 12).

Mit derselben Perspektive erzählt Gertraud Tometich von der Zeit, als die Mattersburger Judengasse tatsächlich noch eine Judengasse war und das Geschäftszentrum der Stadt, das bis 1903 auch politisch selbstständig war. Penibel recherchiert und reich bebildert, schildert die Autorin die Entwicklung der wegen ihrer Talmudschule weit gerühmten Gemeinde, die urkundlich schon 1526 erwähnt worden ist (Gertraud Tometich: Als im Burgenland nach das Schofarhorn ertönte. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Mattersburg und Umgebung, Edition Marlit).

Tometich spannt da den Bogen von Mattersburg - das sich in der Hoffnung, Landeshauptstadt zu werden, 1924 mit "-burg" quasi aufplusterte - bis Matterdorf, das der im Vorjahr verstorbene Akiva Ehrenfeld in den 1960er-Jahren am Nordrand von Jerusalem gegründet hat, damit eine Vision seines Vaters Samuel, letzter Oberrabbiner in Mattersburg, in die Tat umsetzend.

Dass das jüdische Leben ein konstitutiver Teil der regionalen Geschichte ist, bestreitet niemand. Die vor 75 Jahren auch in die Vernichtung geschickten Roma tun sich da schwerer. Am vergangenen Donnerstag trafen sich in einem Oberwarter Wirtshaus die alten lokalen Kämpfer für die überfällige Anerkennung der Volksgruppe als Volksgruppe. Die ist mittlerweile auch schon wieder 20 Jahre her, was sich aber nicht bis überallhin durchgesprochen hat.

Jedenfalls nicht ins SP-dominierte Kemeten, einst eine der größeren Siedlungen. Ein angeblich längst schon fertiggestellter Gedenkstein harrt immer noch seiner Aufstellung. Und das tun ähnliche in ähnlichen Gemeinden auch. Rund 130 Romasiedlungen hat es vor 1938 gegeben, sagt Gerhard Baumgartner, der Historiker in burgenländischen Roma-Angelegenheiten. Praktisch nirgends erinnert irgendwas an deren einstige Existenz.

Roma-Leugnung

Wenige nur kamen zurück, und die waren keineswegs begrüßte Heimkehrer. Was Rudolf Sarközi, Chef der Volksgruppe, bis heute besonders erschüttert, ist der Umstand, dass geradezu das Vorhandensein eines autochthonen Roma-Lebens geleugnet wurde. Und wird. Günter Tóth, VP-Bürgermeister von Oberschützen, denkt zwar an eine Roma-Erinnerungstafel am Kriegerdenkmal. Dass nach dem Krieg im eingemeindeten Unterschützen eine Roma-Siedlung bestand - neun der 182 Roma kehrten aus dem KZ zurück -, könne er aber nicht sagen. Zwei Häuser, ja. "Eins davon hat der Eigentümer jetzt abgerissen, weil es baufällig war." In diesem Haus ist Rudolf Sarközi aufgewachsen. Und nicht nur er. Auch die Musiker Tony Wegas und Hans Samer kamen von hier. Die Baufälligkeit möchte Rudolf Sarközi, der im KZ Lackenbach zur Welt gekommen ist, durchaus gelten lassen. Nicht aber die Erinnerungslosigkeit. "Gerade nicht in Unterschützen", einer Gemeinde, aus welcher der NS-Kreisleiter (und spätere FPler) Eduard Nicka stamme, vor allem aber der kurzzeitige burgenländische Gauleiter (und spätere FPler) Tobias Portschy, der mit seiner Denkschrift Die Zigeunerfrage das Vernichtungswerk ideologisch in die Wege geleitet hat. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 28.10.2013)