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Sexting, das sich aus den Wörtern Sex und Texting zusammensetzt, boomt unter Jugendlichen. Dabei handelt es sich um die Verbreitung von erotischen Fotos über MMS, Facebook oder Messenger wie WhatsApp.

Foto: APA/dpa/Armin Weigel

Jeder zweite männliche Jugendliche unter 17 Jahren zieht sich regelmäßig Pornos rein. Unter den Mädchen sind es lediglich sieben Prozent. Diese Zahlen präsentierte der gerichtliche Sachverständige Roland Bugram, der Missbrauchsfälle an und von Jugendlichen in Österreich untersucht, bei der Tagung "Alles Porno". Ist unsere Jugend die Pornogeneration? Gehen Jugendliche unter in einer digitalen Sexwelt? Fragen, die sich die Kinder- und Jugendanwaltschaft (kija) Salzburg anlässlich der Tagung stellte.

Früher sei der Zugang zur Pornografie noch schwieriger gewesen: Den Mut, durch den roten Vorhang in der Videothek zu gehen, musste man erst einmal haben, sagte Bugram. "Das Internet hat zu einer Demokratisierung der Pornografie geführt" und erleichtere den Zugang für jedermann. Bei etwa 20 Prozent der Jugendlichen führe der häufige Pornokonsum zu Veränderungen, schätzt Bugram. "Sie übernehmen Handlungsmuster, bauen Hemmungen ab, ändern ihre Einstellung, werden gleichgültiger und unempfindlicher. Ihre Empathiefähigkeit nimmt ab."

Drehbuch bei Vergewaltigungen

Als Beispiel nennt der forensische Psychologe den Fall der Grazer Jugend-WG, bei dem Bugram im Prozess als Sachverständiger tätig war. Drei 17-jährige Grazer sollen über drei Jahre hinweg vier jüngere Mädchen sexuell missbraucht haben. Das jüngste Opfer war zu Beginn der Übergriffe erst neun Jahre alt. "Es ist dramatisch zu sehen, mit welcher Vehemenz Jugendliche ihr Drehbuch bei Vergewaltigungen durchziehen", sagt Bugram. Die drei Grazer Jugendlichen erklärten bei der Begutachtung durch den Psychologen, sie hätten die Dinge aus dem Internet.

In diesem Alter hätten Jugendliche grundsätzlich kein Bedürfnis nach Anal- oder Oralverkehr, aber Pornos im Internet würden quasi eine Anleitung für ihr Sexualleben liefern, erläutert Bugram. "Unter gewissen Bedingungen ist Pornografie die Lunte am Pulverfass." Die Vielnutzung von Pornos sei zwar nicht allein ausschlaggebend, aber ein Teil, um dies zu erklären.

Kein signifikanter Anstieg bei Sexualdelikten

"Den typischen jugendlichen Sexualstraftäter gibt es nicht", sagt der Grazer Rechtspsychologe. Aber es würden Auffälligkeiten bestehen, die über eine sexuelle Symptomatik hinausgehen. "Ihnen fehlt das Einfühlungsvermögen. Sie sehen die Frau als Objekt und gehen davon aus, sie hätte Spaß daran, auch wenn sie weint und sich wehrt." Mit der zunehmenden Pornonutzung perfektionieren die Täter auch ihr Drehbuch.

Die Zahl der Verurteilungen Jugendlicher wegen Sexualdelikten nimmt zwar ab: Im Jahr 2012 wurden laut Statistik Austria 36 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren wegen Sexualdelikten verurteilt. 2011 waren es 42, und im Jahr 2010 wurden 49 Jugendliche wegen Sexualdelikten verurteilt. Doch oftmals komme es nicht zu einer Verurteilung, schildert Bugram aus seiner Erfahrung. Einige Mädchen würden sich schämen oder den Täter vielleicht immer noch lieben.

Sexting sprunghaft angestiegen

Dies beobachtet die Kinder und Jugendanwaltschaft auch bei dem neuen Phänomen des Sexting. Sexting, das sich aus den Wörtern Sex und Texting zusammensetzt, ist die Verbreitung von erotischen Fotos über MMS, Facebook oder Messenger wie WhatsApp. Die Anfragen zum Thema Sexting sind sprunghaft angestiegen. Seit Mitte 2012 wandten sich 92 Betroffene an die kija Salzburg, im Jahr davor waren es erst sieben Fälle.

Meistens sind Mädchen die Opfer von Sexting, erklärt Cornelia Grünwald von der kija Salzburg. "Viele wollen nichts sagen, weil sie meinen, es sei sinnlos, und warten oft lange", sagt Grünwald. Doch dann wäre es oftmals schon zu spät. Kursiere ein Foto schon drei Wochen im Internet, bekomme man das oft nie wieder raus.

Damit die Jugendlichen niederschwellig über ihre Erfahrungen sprechen können, setzt die kija Salzburg auf Peer-Beratung. Bei dem Projekt Cyberhelp können Jugendliche über Facebook Hilfe bei 14 ausgebildeten jugendlichen Beratern suchen. In brenzligen Fällen wird mit Einverständnis des Ratsuchenden die kija hinzugezogen.

Die Prävention und Aufklärungsarbeit sei beim Thema Sexting besonders wichtig, sagt Grünwald. Viele Jugendliche, die pornografische Fotos weiterschicken, wissen nicht, dass der Tatbestand der Kinderpornografie nach Paragraf 207a erfüllt ist. In den USA werden Jugendliche, die Nacktfotos von Mädchen verbreiten, sogar in die Datenbank für Sexualstraftäter aufgenommen, erklärt Bugram.

Nur sieben Prozent werden von Eltern aufgeklärt

30 Prozent der männlichen Jugendlichen beziehen ihr Wissen über Sexualität aus dem Internet und 26 Prozent über andere Jugendliche, erklärt der Psychologe Roland Bugram. Gehe man davon aus, dass die Freunde ihre Information auch aus dem Internet haben, könne man sagen, jeder zweite Jugendliche bezieht seine Informationen zur Sexualität aus dem Internet, meint Bugram. "Früher haben wir unsere Informationen aus Versandkatalogen und 'Bravo'-Heften bezogen."

Mädchen beginnen mit ungefähr zehn Jahren, sich über Sexualität zu erkundigen, Burschen mit zwölf bis 13 Jahren. "Eltern schätzen ihre Kinder da völlig falsch ein", sagt der Psychologe. Die Fehleinschätzung liege zwischen zwei bis drei Jahren. Was auch in den Zahlen zur Aufklärung ablesbar ist. Nur noch sieben Prozent der Kinder und Jugendlichen werden von ihren Eltern aufgeklärt, obwohl sich 30 Prozent der Jugendlichen wünschen würden, die Informationen von ihren Eltern zu bekommen. (Stefanie Ruep, derStandard.at, 28.10.2013)