Reiches Kurzfilmwerk: "Muse" (2011) und ...

Foto: viennale

... "We Don't Care for Democracy, This Is What We Want: Love and Hope and Its Many Faces" (2010).

Foto: viennale

Im Jahr 1901 gab es auf der philippinischen Insel Panay eine große Flut. In dem allgemeinen Durcheinander kam es zu einer mythologisch bedeutsamen Enthüllung: Junge Mädchen, die als "binukot" ("kept maidens" ) eigentlich den Blicken der Leute entzogen bleiben sollten, mussten aus den Hütten fliehen, in denen sie versteckt waren.

Der epiphanische Moment ist mit einem politischen verknüpft, denn 1901 ist auch das Jahr, in dem der philippinische Unabhängigkeitskrieg endete. In Ang Ninanais (Refrains Happen Like Revolutions in a Song, 2010) von John Torres sind all diese Motive subtil präsent: Die Übergänge von der epischen Erzählung des Mythos in die kanonische Erzählung der nationalen Geschichte bilden dabei eine Passage, die Torres in beide Richtungen offenhält.

Das Motiv der Überquerung eines Flusses korrespondiert dabei mit einem stetigen Ebenenwechsel, wie er für die lyrische oder eben musikalische Form seines Films unabdingbar ist. In der reichhaltigen Filmlandschaft der Philippinen ist John Torres so etwas wie der Dichter, während Lav Diaz vielleicht der Historiograf ist. Die Viennale widmet Torres ein Programm "In Focus", das sein reiches Kurzfilmwerk erschließt, und vor allem auch ihn selbst als Person vorstellt. Denn Torres ist kein Künstler, der hinter seinem Werk verschwindet, er ist Performer, der seine Arbeiten auch musikalisch begleitet.

Im Berlinale-Forum gab es einmal eine denkwürdige Diskussion nach einer Vorführung von Taon Noon Ako'y Anak Sa Labas (Years When I Was a Child Outside, 2008), an der auch Kidlat Tahimik teilnahm, wichtiger Vorläufer des idiosynkratischen Autorenkinos der Philippinen (neben den großen Meistern der populären Form, Lino Brocka und Ishmael Bernal). Torres beschäftigt sich in Years When I Was a Child Outside mit seinem Vater Rodolfo, einem Pädagogen, der Bestseller über Lebenshilfe und Lernprozesse veröffentlicht hat, der aber nicht nur leuchtendes Vorbild war, sondern auch Liebschaften unterhielt und uneheliche Kinder hatte, denen gegenüber sich der Sohn als "außerhalb" sehen musste.

Die Ambivalenz dieser Position prägt die Filme Torres': Sie sind, wie jemand einmal richtig schrieb, auf der Suche nach ihrer Form, sie sind erzählerische Experimente, in denen der auktoriale Punkt fehlt; sie sind aus mehreren Positionen und Perspektiven gleichzeitig erzählt. Sie sind essayistisch, autobiografisch, lyrisch, und sprechen vom Leben der einfachen Menschen in einer vielfach vermittelten Weise.

Zwischen Pop und Reflexion

So ist auch Lukas Nino, der neue Spielfilm von John Torres, folgerichtig ein Film übers Kino. Sherad Anthony Sanchez, der mit Imburnal eines der wichtigsten grenznarrativen Großwerke des philippinischen Indie-Kinos gemacht hat, arbeitete am Drehbuch mit. In der Geschichte eines Filmteams, das einen Hauptdarsteller für einen Actionfilm sucht, ist auch die für Torres' Generation konstitutive Spannung zwischen den populären Formen, mit denen sie groß wurde, und den reflexiven Formen, die ihnen der Übergang zur digitalen Produktion erlaubte, verarbeitet.

Die Philippinen bilden für das Weltkino derzeit so etwas wie ein Labor, in dem die Mikropolitiken, die sich auch aus den neuen Medienformaten ergeben, auf die Großerzählungen treffen, in denen sich nationale Identitäten bilden. Bei Torres gibt es keine Form, auf die alles hinausläuft, er baut traumwandlerische Zusammenhänge aus Erzählformen, die einander gegenseitig das Bedeutungsmonopol streitig machen, wie in dem mittellangen Mapang-akit, der einerseits wie ein ethnografischer Film aus Laruja (Antique) erscheint, andererseits aber den Leuten gewissermaßen das Wort entzieht.

In dieser Spannung arbeitet Torres bevorzugt: Das erste oder das letzte Wort gibt es bei ihm nicht, nur die Poesie dazwischen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 29.10.2013)