Bild nicht mehr verfügbar.

Die Neigung zur Magersucht steht oft in direktem Bezug zu dem Wunsch nach Autonomie, erklärt der Heidelberger Facharzt Wolfgang Herzog.

Foto: AP/DIANE BONDAREFF

Das Design erinnert an Facebook: dezenter blauer Hintergrund, ein Anmelde-Button und eine klar strukturierte Forenübersicht. Alles sehr professionell gestaltet. Doch dies ist nicht die Homepage eines normalen sozialen Netzwerkes, sondern eine sogenannte Pro-Ana-Webseite. Hier tauschen Magersüchtige und andere Menschen mit Essstörungen Diättipps aus; erklären, welcher ihr liebster (gut sichtbarer) Knochen ist und bestärken sich gegenseitig im Anstreben ihrer irrsinnigen Ziele.

Pro-Ana steht für einen offenen und oft verherrlichenden Umgang mit dem Schlankheitswahn und Anorexia nervosa. Pro-Ana Lifestyle. "Kein Gewichtsverlust? Hilfe!", "Wer ist dein größter Kritiker?" oder "Das Kalorien-in-Obst-Dilemma" lauten die Diskussionsüberschriften.

Andere Einträge befassen sich mit Jungfräulichkeit und der Wirkung von Salzwasser auf das Verdauungssystem. Man nennt sich "fortgeschrittene Ana-Kriegerin" oder "Ana-Guru". Einblicke in eine skurrile Szene. Und am Rand werben Online-Versandhäuser für die neueste Herbstmode.

Bewegte Geschichten

Seit Ende der Neunzigerjahre hat sich die Pro-Ana-Bewegung rapide über das Internet verbreitet und eine beunruhigende Popularität erreicht. Einer belgischen Erhebung zufolge besuchen 12,6 Prozent der Schülerinnen aus der siebenten bis elften Klasse Pro-Anorexia-Webseiten, auch 5,6 Prozent der Buben (vgl.: European Eating Disorders Review, Bd. 17, S. 214). Bei den Mädchen führen Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen und ein gewisser Perfektionismus zu diesem Interesse.

Die Neigung zur Magersucht steht oft in direktem Bezug zu dem Wunsch nach Autonomie, erklärt der Heidelberger Facharzt Wolfgang Herzog. Die Patientinnen wollen Macht über sich selbst beweisen und Stärke gegenüber der Außenwelt zeigen. Gandhis Hungerstreik zum Protest gegen das britische Regime in Indien dient hier als Metapher, sagt Herzog. "Es ist ein unheimlich starkes Mittel."

Manche Wissenschafter sind sogar der Meinung, dass viele Heilige des Mittelalters an Essstörungen gelitten haben könnten. Die Betroffenen indes zahlen mitunter den ultimativen Preis. Von insgesamt 84 Magersuchtpatientinnen, die Wolfgang Herzog und seine Kollegen nach einem stationären Aufenthalt langfristig begleiteten, waren nach 21 Jahren mehr als 15 Prozent an den Folgen der Krankheit verstorben. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 29.10.2013)